: Ein Gesetz für die Hausfrau
■ 90 Prozent aller Berechtigten beanspruchen Erziehungsgeld, 99 Prozent davon sind Frauen / Problematisch ist es für Erwerbstätige, denn der Kündigungsschutz ist durchlässig / Die Ernüchterung kann noch kommen
„Scheinbar ist ja alles paletti“, resümiert eine Teilnehmerin des Informationsabends zum Erziehungsgeld etwas ungläubig die Situation. Haben die Frauen keine Probleme mit dem Erziehungsgeld? Oder sind diese nach einem Jahr einfach noch nicht sichtbar? Denn obgleich die Veranstalterinnen, Mitarbeiterinnen des Berliner Selbsthilfeprojekts SEKIS, ausdrücklich die „Betroffenen“ erreichen wollten, sind diese kaum erschienen. Dem einzigen Ratsuchenden, einem schüchternen werdenden Vater, kann schnell Auskunft gegeben werden: Als Student und Bafög–Empfänger sei er sehr wohl berechtigt, das Erziehungsgeld zu bekommen. Umso zahlreicher sind dafür Mitarbeiter der unterschiedlichsten Beratungseinrichtungen anwesend: von Pro Familia bis zum Arbeitskreis Neue Erziehung. Daß das Erziehungsgeld für die „normale“ Hausfrau, die finanziell über ihren Ehemann abgesichert ist, kein Problem darstellt, darin ist sich die Runde schnell einig. Doch was ist mit den erwerbstätigen, den alleinstehenden, den ausländischen Müttern und Vätern? Bislang wird das Erziehungsgeld von den Frauen ohne wenn und aber akzeptiert: Laut dem Bundesfamilienministerium nehmen es etwa 90 Doch so unproblematisch ist der „Meilenstein in der Familiengesetzgebung“, wie die Bundesregierung die Regelung preist, nicht: Für Frauen, die ihre Erwerbstätigkeit zugunsten des Erziehungsurlaubs unterbrechen, kann sich die Rückkehr in den Beruf als schwierig gestalten. In Zahlen läßt sich das bislang noch nicht ausdrücken, doch die Einschätzung von Gewerkschafterinnen, SPDlerinnen, Grünen Frauen und Feministinnen, das Erziehungsgeld sei auch ein Instrument, um Frauen vom Arbeitsmarkt zu entfernen, stellt sich zunehmend als richtig heraus. „Ausnahmsweise“ Kündigungen Da berichtet eine Mitarbeiterin des Nachbarschaftsheim Berlin– Schöneberg von zwei Frauen, die sich nach Ablauf des zehnmonatigen Erziehungsurlaubs bei ihrem Betrieb zurückgemeldet hätten. Aus heiterem Himmel teilte ihnen der Arbeitgeber mit, daß sie gekündigt seien. Denn anders als bei dem zuvor gültigen Mutterschaftsurlaub endet der besondere Kündigungsschutz unmittelbar nach Ablauf der zehn Monate. Und auch während des Erziehungsurlaubs kann laut Gesetz „ausnahmsweise und in besonderen Fällen“ gekündigt werden. Beim Landesamt für Arbeitsschutz und technische Sicherheit, der für Berlin zuständigen Stelle, wurden im vergangenen Jahr 20 solcher Anträge gestellt. In 13 Fällen wurde dem Kündigungsgesuch stattgegeben. Nur einmal handelte es sich dabei um eine Betriebsschließung. Am häufigsten bisher ist nach den Berliner Erfahrungen folgender Fall: Der Arbeitgeber kann nachweisen, daß er keinen qualifizierten Ersatz findet oder die Einarbeitungszeit zu lang ist und der Betrieb dadurch übermäßig belastet wird. Dies betrifft vor allem die Kleinbetriebe (bis zu fünf Mitarbeitern/innen), z.B. Arzt– oder Rechtsanwaltspraxen. Entsprechend lag dem Berliner Amt ein Antrag von einem Großbetrieb noch nicht vor. „Fairerweise“, meint der zu ständige Referent Krüger, „sollten die Arbeitgeber vorher mitteilen, ob sie eine Kündigung erwägen. Damit würde die Wahlfreiheit der Frau gewährleistet.“ Doch so wird die „Wahlfreiheit“, das beliebteste Schlagwort der CDU–Frauenpolitik, in der Öffentlichkeit nicht verkauft: Da sollen sich Väter und Mütter zeitweilig für die Kindererziehung entscheiden können, ohne den Arbeitsplatz zu gefährden. Eine wei tere Möglichkeit der Kündigung besteht, wenn die Arbeitnehmerin und ihre Vertreterin während des Erziehungsurlaubs in Konkurrenz zueinander geraten. Da die Kündigungsfrist für Angestellte sechs Wochen zum Quartal beträgt, muß der Arbeitgeber, falls er lieber die Ersatzkraft behalten will, für mehrere Wochen zwei Frauen für denselben Arbeitsplatz bezahlen. Wird der Nachweis erbracht, daß der Betrieb das nicht trägt, kann die Kündigung bereits während des Erziehungsurlaubs ausgesprochen werden. Dieser Fall ist in Berlin bereits mehrfach vorgekommen. Auf den ersten Blick erscheinen 13 Kündigungen in einem Jahr wenig. Doch in wievielen Fällen kommt es erst gar nicht soweit, daß die zuständige Behörde eingeschaltet wird? Männer bleiben nicht zu Hause Von den Kündigungen waren Männer in Berlin nicht betroffen. Denn die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern wird durch das Erziehungsgeld kein bißchen angetastet. Bundesweit entschlossen sich 1,2 Prozent aller Väter dazu, für die Kindererziehung zu Hause zu bleiben, in Berlin 1,13 Prozent. Das waren im ersten Halbjahr 1986 ganze 31 Hausmänner, gegenüber 1.648 Hausfrauen. Ihre Erwerbstätigkeit gaben für den Erziehungsurlaub 2.379 Frauen auf. Von der Möglichkeit, bei demselben Arbeitgeber mit einer Arbeitszeit bis zu 19 Stunden weiterzuarbeiten, machten in Berlin lediglich 127 Frauen Gebrauch. Weitere 642 Erziehungsgeldempfänger/innen waren Studentinnen, Sozialhilfe– oder Arbeitslosenhilfeempfängerinnen. Bundesweit beantragten 582.000 Frauen und 7.000 Männer Erziehungsgeld. Davon waren 270.000 Frauen (und Männer) vorher erwerbstätig. Auch hier beziehen sich die Zahlen wieder auf das erste Halbjahr 86. Wieviele dieser erwerbstätigen Frauen werden wieder auf ihren Arbeitsplatz zurückkehren? Der zuständige Referent beim Familienministerium, Görgen, möchte nur eine Prognose abgeben. Er geht davon aus, daß entsprechend den Erfahrungen mit dem Mutterschaftsurlaub mindestens die Hälfte der Frauen wieder ihre Berufstätigkeit aufnehmen werde. Und einen signifikanten Anstieg von Kündigungen während oder unmittelbar nach dem Erzie hungsurlaub habe man bislang noch nicht feststellen können, wird beteuert. Allerdings will das Ministerium keine Zahlen nennen, denn Ergebnisse liegen vorerst nur aus drei Bundesländern vor. Ernüchterung vorprogrammiert Auch die Regelung, daß Frauen weiterhin bei demselben Arbeitgeber bis zu 19 Stunden arbeiten dürfen, erweist sich als problematisch. Erstens kann der Arbeitge ber sich weigern und z.B. auf eine Regelung von nur 18 dreiviertel Stunden eingehen. Zweitens erwächst aus dieser Stundenzahl laut Arbeitsförderungsgesetz kein Anrecht auf Arbeitslosenversicherung. Bei einer Kündigung hat die Arbeitnehmerin dann keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld und ihr früherer Anspruch (aus ihrer vollen Erwerbstätigkeit) ist unter Umständen bereits verfallen. Drittens haben Frauen keine Garantie, daß sie nach dem Erziehungsurlaub auf ihren ehemaligen Arbeitsplatz zurückkehren können, sondern auf diese arbeitsrechtlich sehr viel ungünstigere 19–Stunden–Regelung festgenagelt werden. Ist Frauen zukünftig das Erziehungsgeld diese Risiken wert? Ruth Nehren vom „Treffpunkt und Beratung für Frauen“ im Berliner Bezirk Kreuzberg vermutet, daß sich die „Ernüchterung“ erst allmählich einstellen werde. Und noch eine weitere Erfahrung machte sie bei ihrer Beratungstätigkeit: Frauen ließen sich in den ersten Wochen einer ungewollten Schwangerschaft durchaus von der Möglichkeit zum Erziehungsgeld beeinflussen, ob sie das Kind austragen oder nicht. Besonders bei Sozialhilfeempfängerinnen sei dies der Fall: Wird doch das Erziehungsgeld zusätzlich gezahlt, so daß in den ersten zehn Monaten ca. 1.500 DM für Mutter und Kind zur Verfügung stehen. In Berlin wie in einigen anderen Bundesländern schließt sich daran die Möglichkeit an, Familiengeld in Höhe von 400 DM zu beziehen. Doch nach 20 Monaten ist es dann vorbei mit den Zahlungen und frau muß sich mit dem normalen Regelsatz der Sozialhilfe begnügen. Ob das Erziehungsgeld also auch darauf abzielt, die Zahl der Abbrüche zu senken? Statistisch läßt sich das wohl kaum belegen, doch mit Sicherheit wird es für Frauen schwerer, eine Indikation aus sozialen Gründen zu rechtfertigen. Die materielle Basis sei ja schließlich gegeben, kann argumentiert werden, und die anderen guten Gründe, aus denen eine Frau kein Kind will, geraten immer mehr ins gesellschaftlich–moralische Abseits. Ausländerinnen gleichberechtigt? Noch ein Hinweis auf die Gruppen der ausländischen Mütter und Väter. Im Gesetzestext lautet die Voraussetzung bündig: „Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt“ in der Bundesrepublik. In den vielen Fällen, in denen Frauen lediglich eine befristete Aufenthaltserlaubnis besitzen, wird das Erziehungsgeld zwar bis zum Ablauf der Frist gewährt, doch dann muß die Frau von sich aus die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nachweisen. Bislang scheint es in diesem Bereich wenig Probleme zu geben, zumindest konnten unabhängige Einrichtungen, die ausländische Mitbürger/innen beraten, von keinen ablehnenden Bescheiden oder negativen Erfahrungen berichten. Allerdings gibt es innerhalb der komplizierten ausländerrechtlichen Bestimmungen den Fall der „Duldung“. Wird eine Frau während dieses Zeitraums, der sich bis zu eineinhalb Jahren hinziehen kann, schwanger, sieht sie vom Erziehungsgeld keinen Pfennig. Ein Mitarbeiter in der Kreuzberger Säuglingsfürsorge berichtet, daß er in den letzten Monaten mehrere Frauen in dieser Situation betreut hat. Er plädiert dafür, das Erziehungsgeld auch auf diese Frauen anzuwenden, um soziale Härten und Ungerechtigkeiten auszuräumen. Auch Asylbewerber/innen haben keinen Anspruch. Allerdings soll laut dem Referenten im Berliner Familiensenat, Matthies, eine Anweisung der Bundesregierung existieren, diejenigen miteinzubeziehen, deren Verfahren zwar negativ beschieden wurden, die jedoch nicht ausgewiesen, sondern geduldet werden. Es bleibt abzuwarten, ob sich das in der Praxis der zuständigen Behörden niederschlagen wird. Denn daß die Behörden „den einen oder anderen Fehler machten“, gibt auch Herr Matthies zu. Dies sei aber darauf zurückzuführen, daß die „Länder aus dem Stand tätig werden mußten und die Kompetenzzuweisung sehr spät kam“. Aber das ist eine Standardformel für jede Bürokratie, um Fehlentscheidungen zu rechtfertigen. Helga Lukoschat
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