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Atomkraft unrentabel für Dritte Welt

■ Bericht des World Watch–Institute über die Folgen von Tschernobyl / In vielen Staaten findet eine Neuorientierung der Energiepolitik statt Atomkraftruinen erweisen sich speziell für Entwicklungsländer als zu teuer / Fülle von technischen und finanziellen Schwierigkeiten

Washington (ips) - Seit dem Reaktorunglück von Tschernobyl vor fast einem Jahr haben viele Entwicklungsländer ihre einst in die Atomenergie gesetzten Hoffnungen begraben. Planer und Politiker, die die Atomkraftwerke einst als unversiegbare Quelle für billige und saubere Energie ansahen, haben ihre Ziele geändert oder sehen sich wachsender öffentlicher Kritik ausgesetzt. Zu diesem Ergebnis kommt eine jetzt veröffentlichte Studie des Washingtoner World Watch Institute über die Zukunft der Kernindust rie. Für Christopher Flavin, den Autor der Studie „Reassessing Nuclear Power - The Fallout from Tschernobyl (Neubewertung der Atomenergie, der radioaktive Niederschlag von Tschernobyl), war das verheerende Unglück in der Ukraine in vielen Ländern der letzte Anstoß für eine Neuorientierung der Energiepolitik. Der Boom der Atomkraftwerke in der Dritten Welt begann zumeist in den siebziger Jahren. Insbesondere für Staaten ohne eigene Erdölvorkommen erschien die Atomkraft nach dem Ölpreisschock als billige „standortgerechte Alternative“, ermutigt wurden sie dabei von ausländischen Geldgebern, die ihre Kraftwerke verkaufen wollten. Obwohl sich schon bald eine Fülle technischer und finanzieller Schwierigkeiten einstellte, die fast überall zu Bauverzögerungen und gigantischen Kostensteigerungen führten, erwies es sich für die betroffenen Staaten als schwierig, den eingeschlagenen Kurs zu revidieren. Zu hoch erschienen in vielen Fällen die be reits investierten Summen und die damit angehäufte Schuldenlast. So verursacht beispielsweise das nie fertiggestellte philippinische Atomkraftwerk in Bataan pro Tag mehr als eine Million Dollar Kosten, ohne auch nur eine Kilowattstunde Strom zu liefern. Erst vor einem halben Jahr entschied die Regierung Aquino, die Ruine endgültig einzumotten. Von den in Mexiko ursprünglich geplanten 20 AKWs wurde bis heute kein einziges fertiggestellt. Als die Regierung im Januar nach 15jähriger Bauzeit die Inbetriebnahme von „Laguna Verde“ ankündigte, ging ein Aufschrei durch die Presse, Umweltschützer forderten ein Plebiszit, ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß wurde eingerichtet. Brasilien, das Mitte der siebziger Jahre allein in der BRD für zwölf Mrd. DM Atomkraftwerke orderte, hat den einzigen je in Betrieb genommenen Reaktor Angra dos Reis im vergangenen Sommer abgeschaltet. Es gab keinerlei Planung für den Unglücksfall, das Atomkraftwerk besaß angeblich wegen Finanzmangels nicht einmal eine Sirene, obschon im Umkreis von 200 Kilometern 15 Millionen Menschen leben. Südkorea und Taiwan werden nach Aussage der Studie im Jahr 2000 die einzigen Entwicklungsländer sein, die mehr als zehn Prozent ihres Strombedarfs durch Atomkraft decken können. Selbst China, einst die große Hoffnung für die Atomkraftwerk–Hersteller, erklärte im vergangenen Jahr, daß es auf absehbare Zeit nur zwei Reaktoren bauen wolle.

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