: Gerhard Schröder kämpft an AKW–Front
■ Der niedersächsische SPD–Oppositionsführer Gerhard Schröder diskutierte mit der Belegschaft des Atomkraftwerks Stade über den Ausstieg aus der Atomkraft / Kritik an der SPD–Politik / Schröder schlägt sich wacker
Aus Stade Jürgen Voges
„Für uns bleibt dann nur die Hoffnung, daß Sie noch recht lange in der Opposition bleiben“, sagt Horst Schreiber, Betriebsratsvorsitzender des AKW Stade, am Ende der Diskussion mit Gerhard Schröder, und die Mitarbeiter des Kraftwerks applaudieren kräftig. Sichtlich geschafft steuert der niedersächsische SPD–Oppositionsführer Schröder dem Ausgang der Kraftwerkskantine zu, scheint aber auch erleichtert, daß er diese Diskussion „Allein gegen alle“ überstanden hat. Dreieinhalb Stunden lang hat Gehard Schröder am Montag nachmittag vor der 250köpfigen Betriebsversammlung des Atomkraftwerks Stade die Ausstiegspläne seiner Partei vertreten, hat geduldig den Watschenmann ge spielt für die Kraftwerksarbeiter, die mal Pfiffe, mal Buh–Rufe für ihn übrig hatten und dabei doch immer gesittet blieben. Was sind das denn für Kriterien, d.ungesittete sin „Was würde wirklich passieren, wenn Sie an der Regierung wären?“ leitet der Betriebsratsvorsitzende die Diskussion ein. „Aus, aus“, rufen die Kraftwerksarbeiter. Doch vom sofortigen Abschalten des AKW Stade will Gerhard Schröder gar nicht reden. Er beginnt damit, daß sich durch die Ereignisse in Harrisburg, Windscale und Tschernobyl langfristig die Position seiner Partei zur Kernenergie verändert habe. Bei allen AKWs gebe es ein Restrisiko, noch immer sei kein sicherer Standort für ein Endlager in Sicht und schließlich überhaupt keine Technik für die Entsorgung still gelegter Kraftwerke. Über die Frage der Sicherheit des AKW Stade kommt Schröder dann allmählich zum Punkt, „kann kein Politiker aus eigener Sachkunde entscheiden“. Man müsse eine Kommission bilden aus Fachleuten des TÜV und aus „neutralen Sachverständigen“, und wenn anschließend „nur ein Zweifel an der Sicherheit nicht ausgeräumt werden kann“, so Schröder, „dann muß Stade abgeschaltet werden“. „Sie sagen das ja schon vorher“, tönt es aus dem Publikum zurück. Auch die recht maßvolle Kritik an der Atomenergie ist für die AKW–Belegschaft nicht diskussionswürdig. Zum Restrisiko merkt ein grauhaariger Physiker an: „Selbst bei einem Kernschmelzunfall ist bei uns eine Gefährdung augeschlossen. Sozusagen todsicher, d.sin Wir kön nen auch dann noch die Aktivität fünf bis sechs Tage zurückhalten und dann gezielt über Filter an die Umgebung abgeben.“ Für einen der Arbeiter, der sich als Vater von vier Kindern und ehemaligen SPD–Wähler vorstellt, „gehört die Kernkraft neben anderen Energieformen einfach zu unserem Wirtschaftsgefüge, wie Salz und Pfeffer in Maßen zu einem guten Essen gehören.“ Die AKW–Belegschaft, so konnte man aus den Fragen heraushören, hat eine Bunkermentalität entwickelt. Fast beschwörend geht Schröder darauf ein: „Wenn morgen irgendwo wieder so etwas wie in Tschernobyl passiert, dann ist das zu Ende, was Sie hier machen. Und dann helfen Ihnen auch nicht die Parteien, die den Weiterbetrieb jetzt noch befürworten.“ Viel Beifall gibt es für die Bemerkung im Publikum: „Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß Sie hier Stade als Symbol für die Grünen opfern wollen.“ Außer Gerhard Schröder hat in dieser Veranstaltung keiner von den anwesenden Betriebsräten aus der Umgebung auch nur ein atomkraftkritisches Wort über die Lippen gebracht. Selbst der SPD– Bürgermeister der Stadt Stade bekräftigt sein Engagement für das AKW. „Mich ärgert Ihre Position, aber ich muß damit leben“, antwortet ihm der SPD–Fraktionsvorsitzende. Schröder hat den AKW–Arbeitern für den Fall der Stillegung keine Ersatzarbeitsplätze versprochen. „Sie können doch nicht verlangen, daß ich Sie hier bescheiße.“ Für alternative Arbeitsplätze sei der AKW–Betreiber verantwortlich.
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