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JA zum Probierpreis

■ Springers neue Zeitungsillustrierte wendet sich an Bruno Biedermann und seine Schwester / Aktuell und ohne Clou

Von Benedict M. Mülder

Berlin(taz) - „Ja, geben Sie mir die neue Illustrierte“, verlangt die ältere Frau am Kiosk, „da kann man eine Flugreise nach New York gewinnen“. Richtig toll. Im Leserzirkel meines Arztes fehlte es gestern noch, das frische Flaggschiff aus dem Springer Verlag, mit dem er Stern, Quick, Bunte und Revue im Hör Zu–Stil Kundschaft abluchsen will. Eines Tages wird es wohl dort landen, wenn die anvisierten 600.000 Exemplare wirklich vom Markt angenommen werden. Das Konzept ist im Springer–Verlag nicht unumstritten gewesen. Konzernchef Tamm war eher Gegner des Experiments, im Gegensatz zu seinem Stellvertreter Günter Prinz. Prinz hat auch den Probierpreis von 50 Pfennig durchgesetzt, heißt es in der Hamburger ABC–Straße, dem Sitz der Redaktion. Wo die Hamburger Konkurrenz nachklappern muß, hat JA die Story schon auf der Titelseite: „Mit der Fähre in den Tod“. Dank des Druckverfahrens hat das Blatt die Aktualität auf seiner Seite. Der große Clou allerdings fehlt. Nicht einmal eine lustige fake–Geschichte hat sich Chef–Koch Peter Koch ausgedacht. Dabei war er im Vorfeld gar nicht so knauserig. Für einen Bericht über die Skandalnudel Mauss des niedersächsischen Verfassungsschutzes hat er einem Kollegen vom Stern eine Summe von 100.000 Mark hinblättern wollen. Einem bekannten linksliberalen Autor hat er für drei Manuskriptseiten zum gleichen Thema 10.000 Mark angeboten. Nun schmort die große Mauss–Enthüllung erst mal vor sich hin. Stattdessen gibts was übers Essen, ätzendes über den AIDS–Staat und die bissigen Tölen vom Hamburger Kiez, brav, bieder, aber bunt verpackt. Sogar Busen und Po scheinen out. Wie die Zeitschrift tempo im ersten Heft den jungen Adel entdeckte, so lernt auch der Leser von JA, daß die weiblichen Aristokratinnen zwecks Broterwerb in Kaufhäusern und auf Partys herumtingeln. Der boulevardmäßigen Übersetzung des Zeitgeistes in Schicksalsepen und Erfolgsmythen (Ramona Leiß: „Die Ärzte gaben mir mein Gesicht zurück“) fehlt es indes an Biß. Politik, hautnah in Bonn erlebt, kommt gar nicht vor und die DDR nicht einmal im umfassenden TV–Programmteil. Angeblich will JA auf die Tüddelchen verzichten, aber ich hab auch schon anderes gehört: Man schreibt das lästige Staatswesen nur noch in Zitaten oder spricht schlicht vom SED–Staat. Im hiesigen Staatswesen findet nun die Abstimmung am Kiosk statt. Da hat JA ganz bestimmt Chancen.

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