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Devisenschieberei beim VW–Konzern

■ Strafanzeige gegen Unbekannt bringt Ablenkung vom eigenen Versäumnis / Jahresgewinn 1986 in Gefahr

Von Ulli Kulke

Berlin (taz) - Was seit längerem als Gerücht durch die Hochfinanz geisterte, ist seit vorgestern abend amtlich. Der Volkswagenkonzern ist in dramatischer „Devisenschieflage“, es droht ein Verlust von rund 480 Millionen DM, was in etwa der Höhe des Jahresgewinns 1986 entspricht. Der Wolfsburger Multi hat in diesem Zusammenhang bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet wegen des Verdachts der „Manipulationen“ an Devisenbeständen des Konzerns. Unabhängig von möglichen Straftatbeständen einzelner wird sich die Unternehmensleitung jedoch selbst im Kreuzfeuer der Kritik sehen, ist man doch in letzter Zeit sehr sorglos bei der Absicherung von Kursrisiken vorgegangen: Der starke Dollarkurs verfall - ohnedies schlecht für die internationale Wettbewerbsposition des Konzerns - brachte jetzt zusätzlich ans Tageslicht, daß riesige Dollarbestände in den Kassen und erwartete Dollareingänge beim Export der Automobile einen beträchtlichen Wertverlust erfahren haben (in DM ausgedrückt). Üblicherweise sichern sich Unternehmen gegen solche Währungsschwankungen durch ein Fortsetzung auf Seite 2 „Devisentermingeschäft“ ab, d.h. sie vereinbaren mit ihrer Hausbank den Verkauf etwa von Dollars gegen DM in einem halben Jahr zum heutigen Tageskurs. Dafür müssen sie einen geringfügigen Abschlag von zur Zeit ca. 1,3 Prozent bezahlen. Das Kursrisiko trägt daraufhin die Bank. Bei einem Dollarkursanstieg würde dies jedoch den Verzicht auf einen u.U. beträchtlichen Kursgewinn bedeuten. Vielleicht auch deshalb hat der VW–Konzern im vergangenen Jahr auf die Absicherung größerer Dollarposten verzichtet. Gegenstand der Strafanzeige von VW ist nun laut Agenturmeldungen der Verdacht, daß ge fälschte Dokumente angefertigt worden seien mit der Absicht, der Konzernleitung die vermeintliche Devisenterminabsicherung vorzutäuschen. Mit den ungesicherten Dollars könnten nun Unternehmensangehörige in Zusammenarbeit mit Angestellten von Banken ihre Spekulationsgeschäfte betrieben haben. Je nach Entwicklung des Dollarkurses hätten die Täter selbst einen Kursgewinn eingeheimst oder nach Austausch der Dokumente das Kursrisiko dem VW–Konzern überlassen. Wenn jetzt der VW–Konzern bei der Staatsanwaltschaft anzeigt, daß mit gefälschten Dokumenten Kursabsicherung vorgetäuscht worden sei, so steht dies im Widerspruch zum Eingeständnis von VW im November vergangenen Jahres, man betrachte eine solche Absicherung nicht für notwendig. Möglicherweise ist man im Vorstand von der Absicherung einzelner größerer Posten ausgegangen. Der Konzernleitung kann es jetzt jedenfalls nur recht sein, in der Öffentlichkeit das Problem aus dem Bereich unfähigen Devisen–Managements in den Bereich der Wirtschaftskriminalität verbracht zu haben. Insoweit könnte die Strafanzeige auch als eine Flucht nach vorn angesehen werden. Zur Jahreswende versuchte der Konzern zu retten, was noch zu retten ist: Größere Dollar–Posten wurden mit Termingeschäften abgesichert. Aber da war der Dollarkurs bereits im Keller. Die Affaire zeigt starke Parallelen zur Pleite der Herstattbank Anfang der 70er Jahre. Bei Herstatt hatte sich seinerzeit die halbe Belegschaft auf Kosten der Bank am „großen Devisenrad“ beteiligt - ganz offenbar unter einem stillen Augenzwinkern des Bank–Bosses: Entwickelte sich der Kurs zum Guten, konnten sich auch schon mal untere Bedienstete einen Porsche leisten, andernfalls trug die Bank das Risiko. Herstatt hat zu einer rigideren Bankenaufsicht geführt. Der Fall VW zeigt, daß die bundesdeutschen Konzerne inzwischen solch gefüllte Kassen haben, daß auch sie die Risiken des Bankgeschäftes tragen. Die Konzernleitung gab inzwischen bekannt, daß die Dividenden–Ausschüttung von zehn Mark pro Aktie nicht gefährdet sei. Die 480 Millionen DM habe man bereits vorsorglich bereitgestellt. Aber auch diese Beteuerungen konnten den Kurs der VW–Aktie nicht halten. Nachdem er schon am Dienstag um 7,80 DM gefallen war, stürzte er gestern noch einmal um 24.90 DM auf 323,30 DM.

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