Wende in der Atomenergiepolitik?

■ Umweltpolitischer Sprecher der bayerischen SPD stellt Anfrage über Strategiepapier aus dem Bundeskanzleramt / Überlegungen zur Abkehr vom Schnellen Brüter / Kein Zeitdruck für den Bau der WAA

Aus München Luitgard Koch

Eine Debatte im bayerischen Landtag über ein Papier aus dem Bundeskanzleramt zur „Wende“ in der Atomenergiepolitik fordert der umweltpolitische Sprecher der SPD–Fraktion Hans Kolo. In dem neunseitigen Strategiepapier, das von einem hohen Beamten aus dem Bundeskanzleramt verfaßt worden sein soll, wird davon ausgegangen, daß der Schnelle Brüter in Kalkar (SNR 300) nicht in Betrieb gehen wird. Gründe: Zur Sicherung der Stromversorgung sei der SNR 300 zu wirtschaftlichen Bedingungen nicht erforderlich und auch industriepolitisch nicht notwendig, da er nicht dem neuesten Stand der Technik entspricht. Frankreich sei bereits in der technischen Entwicklung der BRD mehr als zehn Jahre voraus. Außerdem seien auch die künftigen Betreiber an der Inbetriebnahme immer weniger interessiert, da eine Nachfolgeanlage kaum realisierbar sei. Nicht nur der Widerstand in der Bevölkerung habe sich verstärkt, sondern auch ein Großteil der Politiker habe sich gegen das 6,5 Milliarden–Projekt ausgesprochen. Und last but not least verhindern die Sicherheitsbedenken der Genehmigungsbehörde des Landes Nordrhein Westfalen vorerst die Inbetriebnahme. Solange sei auch keine Weisung des Bundesumweltministeriums möglich. Geht der Schnelle Brüter nicht ans Netz, besteht aber auch keine Notwendigkeit, den Bau der „Oberpfälzer Atommüllfabrik“ schnellstmöglich durchzuziehen, so die Kernpunkte des im Bonner Energie– und Umweltfachdienst „Sieg Tech“ referierten Papiers. „Das Papier stellt gewissermaßen eine Wendung um 150 Grad in der Kernenergiepolitik der Regierung dar“, glaubt Chefredakteur Manfred Sieg, der nach Meinungsverschiedenheiten den SPD–nahen Bonner „Energiere port“ verließ und jetzt sein eigenes Blatt herausgibt. Der Verfasser des Papiers rät, sich beim Bau der WAA nicht unter Zeitdruck setzen zu lassen und sieht bereits erste Anzeichen dafür, daß sich selbst die Energieversorgungsunternehmen, namentlich genannt werden die Rheinisch–Westfälischen Elektrizitätswerke (RWE), die Veba und die Bayernwerke, vom Errichtungszeitplan distanzieren. Kolo will nun von der bayerischen Staatsregierung wissen, ob ihr solche „Absetzbewegungen“ bekannt sind. Da der Freistaat eine 60–Prozent–Beteiligung an den Bayernwerken hält, müßte es den Aufsichtsratsherren auffallen, ob der Druck auf die Betreiberfirma DWK zur Einhaltung der Bau– und Betriebsfristen geringer wurde. Kolo sieht bereits jetzt Anzeichen, die den Inhalt des Papiers bestätigen. So etwa den Rückzieher bei der ersten Teilerrichtungsgenehmigung. Da selbst in DWK– und Stromerzeugerkreisen mit der Inbetriebnahme der WAA für 1995 nicht mehr gerechnet wird, geht jetzt auch Kolo davon aus, daß ein unbefristetes Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente auf dem Gelände geplant ist. „Die WAA ist also derzeit nicht mehr als eine faule Rechtfertigung für den Weiterbetrieb der bundesdeutschen Kernkraftwerke, ohne daß die Entsorgung gelöst ist“, kritisiert er. Ob der in dem Papier angedeutete „Wendekurs“ wirklich ernsthaft zur Debatte steht, bleibt angesichts der harten Linie von Reaktorminister Wallmann fraglich. Vor allem der Ausgang der Hessen–Wahlen ist dabei von entscheidender Bedeutung.