: Suff und Pfefferminz in oberen Etagen
■ Alkoholismus im bundesdeutschen Management - ein neues Phänomen / Spezielle Entsorgungsprogramme für gehobene Trinker: Ökonomische Schlachtenlenker sind nicht für Monate zum Zwecke der Kur aus dem Verkehr zu ziehen / „Voll hält der die besten Reden“
Von Jürgen Schulz
Betrunken, aber glücklich stürzt der Jung–Manager eines süddeutschen Handelsunternehmens in seine proppere Eigentumswohnung. Er hat soeben einen prächtigen Deal für seine Firma abgeschlossen. Daß er dabei seinen Geschäftspartner zuerst unterschriftsreif trinken mußte, war ihm nicht das erste Mal passiert: das Ritual, sich voll für seinen Betrieb zu verausgaben, gehört zu seinen betriebswirtschaftlichen Aufgaben. Paradigmen–Wechsel in der bundesdeutschen Wirtschaft. Lange Zeit galten die Macher aus den oberen Etagen als die coolen, leistungsorientierten Typen, die zum leuchtenden Vorbild für jene Untergebenen hochstilisiert wurden, die durch übermäßigen Alkoholkonsum auffielen. Nun geraten sie selbst mehr und mehr in die Schußlinie der Anti– Rausch–Kampagne. „Mindestens eine Viertelmillion Berufstätige mit einiger Verantwortung für Mensch und Material“, schätzt die Expertin Sara Bilik aus Frankfurt, seien dem Suff verfallen: der Chefredakteur mit der stets griffbereiten Denkzündkerze, der Pharmazeut mit dem gutsortierten Musterkoffer, der Software–Entwickler mit dem Hang zu härteren Sachen oder der Wirtschaftsprüfer, der zur ausgiebigen Feldforschung neigt. Eine exakte Quantifizierung des Problems ist schwer möglich, da die besäuselten Macher über ein geeignetes Instrumentarium zur Verheimlichung ihrer Krankheit verfügen. Sie kaschieren die - im Regelfall - leistungsbedingte Sucht, indem sie von Geschäftsessen zu Geschäftsessen hetzen, wo Alk längst Fetischcharakter ange nommen hat, oder den Mitarbeiterstab nach Feierabend zu einem Gläschen Cognac um sich scharen. Grund zu feiern gibt es schließlich immer - und sei es die hinausgeschobene Rückkehr in den stark vernachlässigten Schoß der genervten Familie. Deshalb, schwant der Wirtschaftswoche, sei eine noch „viel größere Zahl“ von Managern in Gefahr, Alkoholiker zu werden. Lange Zeit decken die engeren Mitarbeiter den kranken Vorgesetzten. Die Sekretärin weist Bittsteller mit der Begründung ab, ihr Chef sei zu beschäftigt, obwohl sich der Herr Doktor nur noch mühsam an den Bilanzen festklammern kann; der Betriebsarzt, der die überhöhten Leberwerte des „hohen Tieres“ längst richtig analysiert hat, aber bislang als Zeichen für „Überarbeitung“ etc. auslegt; die Kollegen, denen immer neue Begründungen für den ungezügelten Durst ihres gutdotierten Zimmernachbarn einfallen: „Wenn ich mit so einer Frau verheiratet wäre...“, „voll hält der die besten Reden“. Erst wenn der Sprit die Psyche angreift und der sonst so bedachte, stets Pfefferminz lutschende Boss als autoritätsheischender Betriebstribun auftritt, kommt sein Dilemma ans Tageslicht. Nun fallen auch die letzten heimlichen Bewunderer des Zechkumpanen ab. Der Alkoholismus, „die Krankheit des Verbergens und der Lüge“ (der Arbeitspsychologe Wolfgang Looss), schiebt den kranken Manager aufs Abstellgleis. Doch während noch vor wenigen Jahren übermäßiger Spritverbrauch in der Mehrzahl der Fälle irgendwann zur Kündigung führte, geht man heutzutage - vor allem in Großbetrieben - behutsamer mit diesen Opfern des Arbeitsmarktes um. Beileibe nicht aus reiner Nächstenliebe! Untersuchungen in den USA haben nämlich ergeben, daß der innerbetriebliche Entzug weitaus billiger kommt als die Duldung von Sauforgien am Arbeitsplatz. Die Zeitschrift Personalwirtschaft errechnet für die Vereinigten Staaten eine Wirtschaftlichkeit für Alkoholprogramme von bis zu 1000 Neue Ärztliche Zeitung es tut, pro Alkoholiker und Betrieb jährliche Folgekosten in Höhe von 10.000 Mark zugrunde (Fehlzeiten, mangelnde Mitarbeit), so gelten diese „astronomischen Kostenrenditen“ (Personalwirtschaft) als überzeugender Beweis für die betriebsinterne Austrocknung. Zwar dürften die Beschwipsten im „white–collar–Bereich“ noch höhere Verluste wg. Alkoholmißbrauch einfahren, doch müssen in dieser Sparte zusätzliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Ein Manager, in Personalunion ökonomischer Schlachtenlenker und Vorzeige–Mitarbeiter, kann nicht ohne weiteres für Monate aus dem Verkehr gezogen werden, um zur Kur zu gehen. Dafür ist seine Arbeit zu wichtig und teuer, obendrein könnten die unteren Chargen Wind vom wahren Motiv des langfristigen Absentismus bekommen: hatte der Big–Boß nicht vor geraumer Zeit seinen Führerschein abgeben müssen? Nichtsdestotrotz bieten verschiedene Organisationen, wie der Rotkreuz–Ableger Daytop, spezielle Entsorgungsprogramme für den gehobenen Trinker an, auf Wunsch auch unverfänglichere Intensivkurse von weitaus kürzerer Dauer. Der Entzug mit intellektuell ansprechenden Inhalten soll den Patienten zu einer gesünderen Lebens– und Betriebsführung befähigen. Im Musterland USA gelten die genesenen Chefs bereits als Symbol einer wiedererstarkten Wirtschaftsmoral; man trägt das Schild „trockener Alkoholiker“ wie ein gutgefülltes Auftragsbuch stolz vor sich her. Auf geschäftlichen Empfängen wird, im Gegensatz zum germanischen Kulturkreis, Mineralwasser kredenzt (obgleich die Wässerchen auch nicht gerade gesundheitsfördernd sein sollen). In unseren Breiten, so hat es den Anschein, läßt der tendenzielle Fall der Alk–Rate im Management auf sich warten, weil der angelsächsische Habitus nicht unbedingt übertragbar ist. Der Chef eines bundesdeutschen Chemieherstellers gegenüber dem Magazin Suchtreport: „Meistens versetzen wir einen alkoholkranken Manager solange hin und her, bis er auf einer Stelle landet, wo er keinen Schaden mehr anrichten kann. Dann warten wir ab und hoffen, daß er bald geht!“
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