„Dieses Verbrechen ist eine Wüste“

■ Der Indizien–Prozeß gegen Monika Weimar, die ihre Kinder getötet haben soll / Von Heide Platen

Heute beginnt vor dem Schwurgericht in Fulda der Prozeß gegen die 28jährige Monika Weimar. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr vor, am 4. August vorigen Jahres ihre beiden Töchter Melanie und Karola umgebracht zu haben, weil sie ihren Mann verlassen wollte. Die Polizei hatte seinerzeit zuerst eine stand die Mutter unter Mordverdacht, dann der Vater, schließlich wurde doch die Mutter verhaftet.

Die Jagd war einen Winter lang unterbrochen. Sie ist nun wieder eröffnet. Der Präsident des Landgerichts Fulda ließ die Journalisten wissen, daß nicht alle von ihnen an Tischen werden sitzen können im Schwurgerichtsverfahren gegen Monika Weimar. Mit oder ohne Tisch - dem Prozeß um den Tod der Kinder Melanie und Karola Weimar am 3. oder 4. August 1986 ist Aufmerksamkeit sicher. Ob dieser auch Aufklärung erfahren wird, ist ungewiß. Gerechte, Selbstgerechte und Ungerechte halten seit Monaten an ihren Vorurteilen fest. Fest steht, daß die beiden fünf– und siebenjährigen Mädchen, von wessen Hand auch immer, getötet wurden, die jüngere erwürgt, die ältere mit einem weichen Gegenstand erstickt. Vier Tage lang suchten Polizisten und Soldaten nach den Kindern. Dann wurden sie, einige Kilometer voneinander entfernt, im Gebüsch an Straßenrändern gefunden. Der kleine Ortsteil Röhringshof–Nippe im osthessischen Zonenrandgebiet glich einem Hexenkessel. Die Einwohner drängten sich den scharenweise angereisten Journalisten auf, kassierten hier einen Geldschein, dort begierige Aufmerksamkeit. Zu lange hatte ihnen niemand zugehört, zu lange hatten sie es immer schon gewußt. Die Eltern der toten Kinder posierten für die Fotografen von Illustrierten und Boulevard–Blättern. Der Klatsch blühte, und die Nachbarn schossen sich auf Monika Weimar ein. Eine „Ami–Hure“ sei die 28jährige Krankenpflegehelferin gewesen. Sie habe sich in der Disco rumgetrieben, Mann und Kinder vernachlässigt. Der kräftige, 34jährige Betriebsschlosser Reinhard Weimar, mit Bierbauch und Schnauzbart, wiederum - soviel steht auch fest - verprügelte seine Frau, wenn ihm der Sinn danach stand - oder der Alkohol. Daß sie ihn seit dem Frühjahr 1986 betrog, hatte sie ihm nicht verschwiegen. Daß ihr Liebhaber, der in Bad Hersfeld stationierte amerikanische Soldat Kevin Pratt, auch verheiratet war, störte beide nicht. Die Flucht aus dem Alltag sollte eine gemeinsame werden, mit den Kindern, sagte Monika Weimar. Der 23jährige Pratt, selbst Vater, war eine schwankende Zuflucht. Er belog sie über das Datum seiner Rückkehr in die USA, flirtete mit anderen, verlangte von ihr die Scheidung, sie stritten und versöhnten sich schnell wieder. Das Leben der Weimars wird sich wohl zwischen Gleichgültigkeit, Aufbegehren, Streit und Schlägen und dem hastigen Versorgen der Kinder auf das kommende Unheil ausgerichtet haben. Sonntag, der 3. August ist für Monika Weimar: Kohlrouladen kochen, geprügelt werden, essen, mit den Kindern und dem Freund ein sonniger Picknick–Nachmittag am See, abends Streit mit dem Ehemann, Kinder versorgen, zum Freund in die Disco, dort Streit und Versöhnung, Liebe und Gespräche im Auto, dann wieder zurück in die eheliche Wohnung. Dort sagt sie, habe sie die Kinder „leblos“ im Bett gefunden. Ihr Mann habe dagehockt und geweint. Sie sei schlafen gegangen. Hier ist innezuhalten, ehe das Grauen wächst, das eine Boule vard–Zeitung in dumpfer Vorverurteilung schreiben läßt: „Die ausgebildete Krankenpflegerin stürzt sich nicht weinend über die Kinder, macht keine Wiederbelebungsversuche... Sie wendet sich ab, geht ins Schlafzimmer, weil sie den Anblick nicht ertragen konnte.... Später hat sie sich ins Bett gelegt... Ins Ehebett (!), neben ihren Mann, den sie des Mordes beschuldigt, und sie schläft nach ihren eigenen Angaben bis etwa zehn Uhr. Dann geht sie zur Post und zur Sparkasse, macht Erledigungen.“ Vera Kamenko, eine Jugoslawin, in Berlin verurteilt, ihren Sohn zu Tode geprügelt zu haben, schreibt in ihrem Tagebuch im Gefängnis: „Ich konnte nicht richtig denken, ich hatte nur einen Gedanken, und das war zu schlafen. Diese ersten Tage sind unklar geblieben, ich wußte nicht, wann Tag ist und wann Nacht ist.“ Die Kamenko wurde verurteilt, ihr Freund nicht. Auch er hatte, sagte sie aus, das Kind geschlagen. Kein Zeuge, kein Richter ist dabei gewesen. Der Mann beschuldigt die Frau, die ihren Teil an der Tat nicht bestreitet. Reinhard Weimar beschuldigt seine Frau, er wird als Nebenkläger im Gerichtssaal sitzen. Die französische Schriftstellerin Marguerite Duras schrieb 1985 nach einem Kindesmord in einem Elternhaus in den Vogesen: „Alles geschieht, als sei es Aufgabe der Justiz, die Rollen zu verteilen, einschließlich der des Mörders.“ Und: „Von diesem Verbrechen kann man sich nicht lösen. Es ist unauslotbar, weit, weit verzweigt.“ Duras läßt ihre Gedanken treiben in der Allgegenwart des Verbrechens: „Kommt man ganz nahe an es heran, bleibt nichts als das Monstrum der Unschuld. Bei diesem Verbrechen kommt man bis zur allerletzten Krümmung des Bösen, bis zur Unschuld vorm Angesicht Gottes.“ Reinhard Weimar sagt, er habe geschlafen, als seine Töchter von der Mutter umgebracht wurden. Tief und fest. Nachbarn sind sicher, die Kinder am Vormittag des 4. August noch gesehen zu haben. Die Schwester von Monika Weimar berichtet, sie habe mindestens das jüngere Mädchen, das weinte, nachts noch ins Bett gebracht. Die Schwester wohnt im selben Haus. Die Kriminalpolizei legte anonyme Briefe vor, in denen Monika Weimar nach der Tat ihren Mann beschuldigt haben soll. Die Staatsanwaltschaft hatte abwechselnd beide Eltern im Verdacht. Dann erhob sie Anklage gegen die Mutter. Sie habe die Kinder getötet, „weil diese ihrer ehebrecherischen Beziehung zu dem US–Soldaten Kevin Pratt im Wege standen“. Noch einmal Duras: „Dieses Verbrechen ist eine menschliche Wüste. Es gleicht den kahlen Hügeln. Nun hält man sich, wie immer, an die minutiösen Untersuchungen, die bei solchen Delikten veranstaltet werden.“