Alternativbetriebe boykottieren Saar–Förderprogramm

■ „Richtlinien gehen völlig am Bedarf vorbei“ / Klage über Rückständigkeit gegenüber hessischem Modell / Landesregierung sieht Alternativbetriebe „in der Schmollecke“: „Sie sollen doch erstmal die Probe aufs Exempel machen“ / Bürokratie von Klientel der CDU und FDP durchsetzt

Von Rolf Gramm

„Die alte sozialistische Utopie, daß Arbeit kein Herrschafts– oder Knechtschaftsverhältnis sein darf, sondern gemeinsame, brüderliche Verwaltung von Sachen, lebt derzeit in der alternativen Genossenschaftsbewegung wieder auf.“ Die „konkrete Utopie, die sie vorleben“, sei „von großer Bedeutung“. Kein Geringerer als der saarländische Ministerpräsident Oskar Lafontaine fand 1985 in seinem Buch, „Der andere Fortschritt“, diese lobenden Worte für die alternative Selbstverwaltungsbewegung. Und er vergaß auch nicht hinzuzufügen, daß die Kollektive „auf materielle und institutionelle Hilfestellung von außen angewiesen sind“. Mehr als zwei Jahre nach dem Wahlsieg der Sozialdemokraten aber herrscht Sprachlosigkeit zwischen den saarländischen Kollektiven und der Landesregierung. Im Dezember letzten Jahres platzten die Verhandlungen zwischen den Vertreten der etwa 120 Selbstverwaltungsbetriebe und der Regierung. Einstimmig lehnte die Vollversammlung der Projekte die vom Saarkabinett verabschiedeten „Richtlinien zur Förderung selbstverwalteter Betriebe, sozialer und kultureller Initiativen auf genossenschaftlicher Basis“ ab. An den Sitzungen des Vergabeausschusses nahmen die Projekte fortan nicht teil. Auf die im Haushaltsjahr 1986 eingestellten Mittel in Höhe von 300.000 DM verzichteten sie. Nicht ein einziges Projekt stellte einen Förderantrag. Die verabschiedeten Richtlinien sehen vor, daß Alternativbetriebe Zuschüsse erhalten können für Beratungskosten, Weiterbildungs– und Qualifizierungsmaßnahmen. Die Entwicklung sozial und ökologisch verträglicher Produkte kann danach ebenso gefördert werden wie die Entwicklung neuer Produktionsweisen. Für Investitionskredite können die Betriebe Zinszuschüsse von 2 % jährlich erhalten. Drei Einrichtungen werden ausdrücklich erwähnt, die eine „institutionelle Förderung“ erhalten können: das Netzwerk Saar 122.000 DM im Jahr, die Zukunftswerkstatt Saar 30.000 DM und das „Ökozentrum Hofgut Imsbach“ 30.000 DM. Dem Imsbacher Ökozentrum wird auch ein direkter Investitionszuschuß in Aussicht gestellt für die Errichtung von Betrieben, „die der Erforschung und Entwicklung ökologisch verträglicher Produktionsweisen dienen“. Während der Sprecher des Wirtschaftsministeriums, Urs Kalbfuß, gegenüber der taz erklärte: „Das ist das Fortschrittlichste, was es zur Zeit in der Bundesrepublik gibt“, sind die selbstverwalteten Betriebe da ganz anderer Auffassung: „Die Richtlinien gehen völlig am Bedarf der Projekte vorbei“, erklärt Rolf Lauermann, Vertreter von Netzwerk Saar gegenüber der taz, „weder Existenzgründungs– noch Investitionszuschüsse sind darin vorgesehen und auch keine Absicherung der Kredite von selbstverwalteten Projekten.“ Gerade, was den Alternativbetrieben bei den Verhandlungen mit der Lan desregierung am wichtigsten war, nämlich einen Ausgleich für die strukturelle Benachteiligung gegenüber der herkömmlichen Mittelstandsförderung zu erhalten, böten die Regelungen nicht. Die wichtigste neue Fölrdermöglichkeit seien die Zinssubventiuonen, die aber seien der „zweite Schritt vor dem ersten“. „Die Praxis hat gezeigt, daß selbstverwaltete Betriebe wegen ihrer kollektiven Organisation und der Ablehnung der Profitorientierung bei den Banken meistens erst gar keine Kredite erhalten. Und dann kannst du dir eben auch keine Kreditzinsen subventionieren lassen.“ Sein Kollege Günter Grewer von der Zukunftswerkstatt Saar, der ebenfalls an den Verhandlungen mit der Landesregierung beteiligt war, ergänzt: „Das fällt weit hinter die in Hessen geltenden Förderrichtlinien zurück, nach denen die selbstverwalteten Betriebe Investitionszuschüsse erhalten können.“ Dabei habe man monatelang mit der Landesregierung verhandelt und diese Forderung dabei in den Mittelpunkt gestellt. In einem Alleingang habe das Kabinett dann aber ohne weitere Debatte die Richtlinien verabschiedet. Sauer sind die Alternativbetriebe auch darüber, daß in den Richtlinien dem „Ökozentrum Hofgut Imsbach“ ein besonderer, relativ unspezifischer Investitionszuschuß zugewiesen wird. Das nämlich, so Günter Grewer, sei gar kein selbstverwalteter Betrieb. Als das Hofgut 210.000 DM aus dem Fördertopf abgerufen habe, sei als Antragsteller die Landesentwicklungsgesellschaft, eine Finanzierungsgesellschaft des Wirtschaftsministeriums aufgetreten. Nach Auffassung von Urs Kalbfuß „sitzen die Alternativbetriebe schlicht in der Schmollecke“. „Sie sollen doch erstmal die Probe aufs Exempel machen, dann werden sie schon sehen, welche Möglichkeiten ihnen die Richtlinien eröffnen“, erklärt er. Zudem seien die produzierenden Alternativbetriebe ja nicht von der Mittelstandsförderung ausgeschlossen. Sie könnten diese Gelder „wie jeder andere Betrieb in Anspruch nehmen“. Mehr als die verabschiedeten Richtlinien sei „rechtlich nicht möglich“. Mehrere Betriebe haben jedoch nach Angaben von Günter Grewer bereits versucht, Gelder aus der Mittelstandsförderung zu erhalten. Dies scheitere allerdings im allgemeinen daran, daß diese Förderung eine „ganz normale Prüfung durch die Privatbanken beinhaltet“. Bei den hierbei angelegten Prüfungskriterien fallen die Alternativbetriebe durch, da ihre Grundkapitaldecke zu dünn ist und die Banken die egalitären Entscheidungsstrukturen nicht anerkennen. „Wenn diese Hindernisse nicht im Wege stünden, bräuchten wir auch keine Sonderprogramme.“ Daß rechtlich nicht mehr möglich wäre, wird bezeifelt: „Wenn sie wollten, dann könnten sie, in Hessen geht es ja auch“, erklärt Rolf Lauermann vom Netzwerk. Man sei ja durchaus der Auffassung, daß eine Förderung der Selbstverwaltungsbewegung von der politischen Führung der SPD gewollt ist. Aber „so wichtig, daß sie das auch gegen eine verkrustete, mit der Klientel von CDU und FDP durchsetzten Bürokratie durchfechten, ist es ihnen offensichtlich auch nicht“. Die Betriebe haben beschlossen, zunächst beim Boykott der Richtlinien zu bleiben. „Wir erwarten, daß sich das Wirtschaftsministerium wieder an uns wendet.“