: Die ALKEM–Kuh soll vom Eis
■ In der hessischen Staatskanzlei kursieren Pläne zur Stillegung der Plutoniumfabrik / ALKEM soll als „Plutonium–Vernichtungsfabrik“ zwei Jahre weiterlaufen / Krollmann will mit RWE und Siemens sprechen
Von Klaus–Peter Klingelschmitt
Frankfurt (taz) - „Dem Steger, dem werden wir gleich nach der Wahl den Teppich unter den Füßen wegziehen“, meint ein prominenter Sozialdemokrat aus der hessischen Staatskanzlei im Gespräch mit der taz. Das könnten wir ruhig schreiben, doch seinen Namen, den dürften wir nicht nennen, „aus verständlichen Gründen“. Doch dafür, daß sich in der „Villa Dachlatte“, dem Sitz der Staatskanzlei, in der SPD–Chefdenker Paul–Leo Giani die Fäden zieht, in Sachen ALKEM einiges bewegt, gibt es seit letzter Woche Belege. Mit der von Ex–Umweltminister Fischer auf dem Parteitag der Grünen vorgetragenen Doppeloption - ALKEM muß vom Tisch, sonst sind die Grünen Oppositionspartei - im Nacken, suchen die hessischen Sozialdemokraten nach Auswegen aus dem selbstverschuldeten ALKEM–Dilemma. Auf Nachfrage bestätigte Regierungssprecher Edgar Thie lemann am Wochenende, daß die Hanauer Plutoniumsschmiede jetzt nur noch als „Plutonium– Vernichtungsfabrik“ maximal noch zwei Jahre lang Mischoxyd– Brennelemente (MOX) herstellen soll. Denn das im ALKEM–Bunker lagernde Plutonium müsse ja noch „vernichtet“ werden. Bestehende Rücknahmeverträge, die der Biblis–Betreiber RWE mit der französischen Wiederaufarbeitungsanlage in La Hague abgeschlossen habe, würden gekündigt werden. Thielemann: „Wir werden dafür sorgen, daß aus Frankreich kein neues Plutonium nach Hessen zurückfließt.“ Doch die Eingriffsmöglichkeiten der Landesregierung in die privatwirtschaftlich abgeschlossenen Rücknahmeverträge werden von Experten als „gering“ eingeschätzt. Allenfalls, so Lothar Hahn vom Darmstädter Öko–Institut, könnte moralischer und wirtschaftlicher Druck auf die Vertragspartner ausgeübt werden. Skeptisch äußerte sich Hahn auch über die angebliche „Ver nichtung“ von Plutonium durch die Verarbeitung der Bestände zu MOX–Brennelementen. Ob die „neue Linie“ der hessischen SPD mehr als nur ein Wahlkampfgag ist, wird sich spätestens dann herausstellen, wenn vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Normenkontrollklage des Landes gegen das Bundesatomgesetz verhandelt wird. In der Staatskanzlei scheint sich die Auffassung durchzusetzen, daß es für die Landesregierung vor dem Hintergrund der Steger–Entscheidung - Plutonium–Umgangsmenge von 460 kg für die ALKEM auf zehn Jahre befristet - in Karlsruhe keinen Blumentopf zu gewinnen geben wird. Finanzminister Hans Krollmann, der einer neuen roten oder rot–grünen Landesregierung als Ministerpräsident vorzustehen gedenkt, hat bereits laut über die Möglichkeit der Errichtung eines Endlagers für abgebrannte Brennelemente in Hessen nachgedacht. Darüberhinaus kündigte Krollmann an, mit der Muttergesellschaft des ALKEM–Mehrheitsaktionärs KWU, dem Siemens–Konzern, Gespräche über die Konversion von Arbeitsplätzen bei der ALKEM aufnehmen zu wollen. Vor dem Hintergrund der jüngsten Plutonium–Unfälle bei NUKEM, ALKEM und KWU haben die eindeutigen Plutonium–Gegner in den Reihen der hessischen SPD ohnehin wieder Auftrieb bekommen. Selbst die IG–Chemie Front in Hanau, aus der heraus bisher moralischer Druck auf die SPD ausgeübt wurde, beginnt zu bröckeln. Nur mit Mühe konnte die NUKEM–Geschäftsleitung auf einer am vergangenen Mittwoch einberufenen Betriebsversammlung die aufgebrachten Mitarbeiter beruhigen. Immerhin wurden jetzt bei 14 NUKEM–Arbeitern Plutoniumverseuchungen registriert, 54 weitere Arbeiter werden noch untersucht. Auch bei der ALKEM rumort es, nachdem auch dort ein Arbeiter - über einen defekten Handschuhkasten - mit Plutonium kontaminiert wurde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen