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Messe–Welt: Fortschritt ohne Fragezeichen

■ Auf der weltgrößten Industrie–Messe in Hannover gibt es nur den Vorwärtsgang / Automatisierungskonzepte jetzt auch für den Mittelstand

Ab heute morgen ist die Industrie– Messe in Hannover geöffnet. Bis zum kommenden Mittwoch werden etwa 400.000 Besucher/innen über das riesige Gelände strömen. In 22 Hallen und auf mehr als 100.000 Quadratmetern Freifläche können sie sich eine Woche lang über neue Entwicklungen in Schlüsselbereichen der Industrie informieren, vor allem in der Elektrotechnik und im Bau computerisierter Industrieanlagen. Die verschiedenen Sparten der E–Technik nehmen mit über 2.000 Ausstellern den mit Abstand größten Platz auf der Messe ein - das reicht von der Glühbirne in der albernen „Weltlichtschau“ bis zu Einzelteilen für Umspannwerke oder AKWs. Insgesamt neun Teilmessen, etwa die „Microtronic“ oder Ausstellungen zur Bergbau– oder Steuertechnik, machen die Industrie–Messe zur weltweit größten Veranstaltung dieser Art. Nirgendwo sonst ist beispielsweise ein so schneller Überblick über die computerisierte „Fabrik mit Zukunft“ möglich: Die Halle 18 gilt als Mekka der Rationalisierungsexperten. Auf dem „zentralen Leitstand“ im Obergeschoß, und mit Beiträgen von etwa 230 Firmen wird Automatisierungstechnik „in branchenübergreifenden Zusammenhängen“ präsentiert. Da stellt etwa die „ROBOT Taktile Greifer GmbH“ aus Berlin ein Sensorsystem vor, das auf ei ner Greiferbacke montiert wird; es soll Form und Lage von Einzelteilen erkennen, die durcheinanderliegend zur Montage angeliefert werden. Nachgiebige Einzelteile wie Gummistreifen ließen sich bisher besonders schlecht von Robotern montieren, weil sie jedem Widerstand nachgeben; das Fraunhofer–Institut für Produktionstechnik in Stuttgart will auf der Messe das Einsetzen eines Gummirings von Maschinenhand darstellen. Solche Automatisierungen sind kleine Etappen für ein Unternehmenskonzept der neunziger Jahre, die nicht nur an die Großkonzerne der Automobilbranche, sondern auch an „mittelständische“ Maschinenbauer verkauft werden sollen. Der Leitbegriff dafür ist CIM - Computer Integrated Manufacturing, der bei den Auto– und Maschinenbauern sowie in der elektrotechnischen Industrie immer bedeutsamer wird. Konstruktion und Fertigung, der gesamte Materialfluß in der Fabrik, die allgemeine Produktionsplanung und -steuerung und schließlich auch die Qualitätsprüfung erfolgen über einen Rechnerverbund. CIM wird deshalb oft als Zauberwort betrachtet, doch in der Praxis ergeben sich Schwierigkeiten: Die unterschiedlichen Rechnersysteme passen nicht zusammen. Wie auf der Computer– und Softwaremesse CeBIT für die Datenverarbeitung im allgemeinen sollen auf der Industrie–Messe im besonderen für die Fabrikautomatisierung Vernetzungen vorgestellt werden. Ein ganz anderes know how wird an einem Stand im zweiten Obergeschoß der Halle 12 geliefert: Dort stellt das Staatliche Komitee für Kerntechnik der UdSSR einige Modelle von Reaktoren für medizinisch–biologische Erforschungen und radioisotope Meßgeräte aus. Von den etwa 6.000 Beschickern der Messe stammt ein Drittel aus dem Ausland. Nach der Türkei und Bulgarien in den Vorjahren tritt diesmal als „Partnerland“ die Volksrepublik China mit 24 Firmen und Organisationen auf. Das Land verzeichnet ein chronisches Außenhandelsdefizit und will deshalb die Exporte höherwertiger und damit devisenträchtiger Industriegüter in Richtung Europa stark steigern - dazu brauchen die Reformer in Peking neue Abnehmer. Etwa 50 Staaten von Australien bis zu den Vereinigten Arabischen Emiraten sind mit ihren Industrieerzeugnissen und Werbebroschüren in Hannover vertreten, darunter auch Südafrika mit insgesamt vier Ständen. Anders als im Vorjahr ist das Homeland Bhophutatswana diesmal nicht mehr dabei. Der Versuch, unter westdeutschen Industriellen für Investitionen im Steuerparadies des Lucas Mangope zu werben, ist gründlich danebengegangen; bei Neuzugängen herrschte im letzten Jahr völlige Fehlanzeige. Dietmar Bartz

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