Die Michail– und Maggie–Show - Vorhang fiel

■ Frau Thatcher profilierte sich auch in Moskau als „Darling“ der Supermächte / Gorbatschow erkundschaftete Veränderungen im NATO–Denken / Auf dem Sofa des politischen Rituals sitzt sichs gut

Aus London Rolf Paasch Eine graue Trabanten–Stadt im März. Begleitet von Reportern und Kameras begibt sich eine Politikerin auf die Suche nach ihren hilflosen Opfern: Bürger bitte, für das Gruppenbild mit Dame. Und während die Bewohner des Mos kauer Vororts staunend dem Import britischer Wahlkampfszenen zuschauen, einigen von ihnen die ersten Zweifel an Glasnost bzw. der Informationsfreiheit westlichen Musters kommen: was sich ihnen da zeigt, ist eine Horde wildgewordener Reporter, die sich auf dr Jagd nach den Umständen ei nes banalen Spaziergangs wie die Schuljungen balgen. Die Eiserne Lady war also in die eiskalte Hauptstadt gekommen, um sich daheim als Staatsmännin zu profilieren. Was ihr, gemessen an der britischen Berichterstattung über ihren fünf Tage–Trip, vollends gelang. Selbst ihre ärgsten Kritiker mußten ihr im Geschäft mit der Selbstdarstellung großes Geschick bescheinigen. Was aber hatte sich ihr Gegenüber, der neue Revolutionär im Kreml, von den neunstündigen Gesprächen verprochen? Nachdem sein Kommunikationsversuch mit Ronald in Rejkjavik kläglich gescheitert war, sollte ihm der Austausch mit dem dienstältesten europäischen Staatsoberhaupt aus London die nötige Einsicht in die bündnisstrategischen Gedankenspiele einer Post–Reaganschen NATO gewähren. In einem Gespräch mit britischen Journalisten vor der Ankunft Thatchers war einem führenden Sowjetgeneral die Phrase vom „Englisch–Französisch–Deutschen Kondominium“ herausgerutscht, die Moskaus Interesse deutlich werde läßt. Die neue Kreml–Führung weiß offenbar nicht so recht, was sie von den „mitteleuropäischen“ Gedankenspielen innerhalb und außerhalb der NATO halten soll. Soll man einen Abzug der Amerikaner aus Europa befürworten, oder muß man die Auswirkungen eines solchen Rückzuges auf die osteuropäischen Staaten befürchten? Vor diesem Hintergrund und gebettet in die Zeremonien eines Staatsbesuches fand dann das fünftägige „gegenseitige Ausschnüffeln“ statt. Ein bißchen Frieden und ein bißchen Härte, und ers mal schauen, wie der andere reagiert. Noch im Flugzeug hatte Frau Thatcher auf die Menschenrechtsverletzungen in der Sowjetunion hingewiesen. Und zuviele Kurzstreckenraketen hätten sie auch noch. Gorbatschow konterte gleich nach ihrer Landung mit den Ergebnissen des Zeitungsstudiums seiner Londoner Botschaftsangehörigen: Ehe sie ihm mit Menschenrechten komme, solle sie vier Millionen ihrer Landsleute erst mal zu einer Arbeit verhelfen. Afghanistan! Was ist denn mit Nordirland? Und sie, die noch vr einigen Wochen den britischen Sozialismus ausrotten wollte, warf ihm vor, sein kommunistisches System über die ganze Welt ausbreiten zu wollen. Danach entdeckten sie Gemeinsamkeiten. „Perestroika“, die Umstrukturierung. „Hab ich gerade zu Hause hinter mir“, sagt sie. Disziplin in den Fabriken. „Mußt du Geduld haben und hart bleiben“, dürfte sie ergänzt haben. Abkommen werden unterzeichnet. Verbesserung der Handelsbeziehungen, gemeinsam zum Mars; und ein Kulturaustausch, von dem die Auszutauschenen - wie die Popgruppe Genesis - erst hinterher erfährt. Und so gehts weiter, die Töne werden freundlicher, fast intim, als sie auf dem Sofa des politischen Rituals zusammenrücken. In der Prawda bekommt die Eiserne Lady plötzlich „blaue Augen“. Viel heiße Luft wird von den westlichen Medien pflichtgemäß in bedeutungsschwangere Atmosphäre umgedeutet. Beide hoffen auf ein Abkommen bei den Mittelstreckenwaffen noch vor Jahresende. Michail, weil er es wirklich will und braucht. Und Margaret, weil sichdie Hoffnung auf Abrüstung im Wahlkampf immer gut macht.

Die Eiserne Lady mit den stahlblauen Augen