„Die Liebe wird alles richten“

■ Papst Johannes Paul II. empfiehlt den Chilenen christliche Tugenden und sexuelle Enthaltsamkeit zur Überwindung der Diktatur / Pinochet ließ ungerührt weiterknüppeln / Aus Santiago berichtet Iris Stolz

Pinochets Ehefrau, Lucia Hiriart, war fasziniert von Johannes Paul II: Sie fühle sich „geistig erfüllt“, sagte sie nach ihrem Treffen mit dem Papst. Er sei wirklich ein Heiliger, und ein entzückender dazu. Der Papstbesuch werde dem gesamten Land sehr wohltun, so Lucia weiter, und mit Gottes Hilfe werde er viele Chilenen zum Nachdenken bringen. Seit Mittwoch, den 1.April, ist er da. Seitdem gibt es hier kein anderes Thema mehr, und der Straßenverkehr in Santiago ist lahmgelegter als das je durch einen Protesttag erreicht wurde - allerdings nicht durch Barrikaden, sondern durch Polizeisperren. Pinochets Frau hatte den Papst am Donnerstag morgen im Regierungspalast „La Moneda“ getroffen, wo er 40 Minuten mit dem General unter vier Augen sprach. Während der Papst die Präsidentengattin „geistig erfüllte“, warteten einige Kilometer weiter südlich - inmitten der Armenrandgebiete Santiagos - rund 800.000 Gläubige auf die Botschaft des Heiligen Vaters. Stundenlang waren sie gewandert, um dem „Treffen des Papstes mit der Welt der Armen“ beizuwohnen, um ihm ihre Probleme und ihre Hoffnungen mitzuteilen: Dutzende von Transparenten waren zu sehen: Brot, Gerechtigkeit und Freiheit wurden gefordert, das Ende der Folter auf spanisch und auf polnisch, damit der Papst es auch in jedem Fall verstehen kann. In die Kirchenlieder mischten sich immer wieder Sprechchöre gegen Pinochet und gegen die Diktatur. Polizisten wurden mit „Mörder“– Rufen beschimpft, und ihre Autos mit Steinen beschmissen. Die Polizisten ihrerseits demonstrierten mit ihren Gewehren und schlugen auf die Demonstranten ein. Als der Papst dann endlich direkt aus der „Moneda“ in die „Welt der Armen“ kam, wurde er erwartungsvoll begrüßt: „Johannes Paul II, die ganze Welt liebt dich, das Volk ist auf deiner Seite.“ Es sprachen Vertreter der Pobladores, der Armenviertelbewohner, und die wählten klare Worte: „Politische Partizipation wird hier als Verbrechen behandelt“, sagte einer. „Vielen Dank, daß wir uns endlich mal versam meln können“, ein anderer. Eine Frau erntete heftigen Applaus, als sie zum Ausdruck brachte: „Wir Pobladores wollen weder Zivile, noch Uniformierte sterben sehen. Wir wollen ein würdiges Leben ohne Diktatur, deshalb besuchen wir die Gefangenen und die Gefolterten. Wir begleiten die Angehörigen der Verschwundenen ... Wir bitten hier, in ihrer Gegenwart, daß die ausgewiesenen Priester zurückkommen können ... Es gibt hier politische Gefangene, denen die Todesstrafe droht. Bitte, sprechen Sie sich gegen die Todesstrafe aus.“ Aber der Papst nahm keinen Bezug auf diese konkreten Wünsche der Pobladores, außer, daß er mitteilte, die Reden aufmerksam und bewegt gehört zu haben. Er lobte allerdings die Basisorganisationen als mögliche „Samen neuer Formen sozialer Organisation, die einen Weg öffnen zu einer authentischen und effektiven Partizipation“, und er erwähnte des öfteren die Worte Gerechtigkeit und Freiheit. Was ihm Applaus einbrachte. „Ich kenne euer Leid, und der Schrei eurer Hoffnung ist bis zu meinen Ohren gedrungen. Als Botschafter des Lebens animiere ich euch deshalb, in Jesus Christus den ersehnten Frieden zu suchen ... Selig seid ihr, wenn ihr ein Herz habt, daß nicht am Weltlichen haftet, denn so wird der Vater euch seine Mysterien zeigen und euch helfen, das Joch Jesu zu tragen...“ Die vom Papst erbetene Versöhnung hielt allerdings nicht lange an. Sobald er den Schauplatz verlassen hatte, gab es erneut Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Pobladores. Auch das Treffen mit der Jugend, das am Donnerstag abend im Nationalstadion stattfand, wurde von Auseinandersetzungen zwischen Polizei und dem herbei– und wegströmenden Papstpublikum umrahmt. Im Stadion warteten über 80.000 Jugendliche auf die Worte Johannes Paul II. Wie die Pobladores manifestierten auch sie ihre Wünsche mit Transparenten, Sprechchören und Ansprachen: Pinochet soll gehen, die Folter soll aufhören, Freiheit soll gewährt werden. Eine Vertreterin des Jugendpfarramts wies auf die Risiken hin, die die Praktizierung des Evangeliums in Chile bedeutet, und sie bekräftigte ihr Engagement für die Armen, auch wenn das Verfolgung nach sich zieht. Bevor Johannes Paul II. das Mikrofon übergeben wurde, bat eine Studentin eindringlich: „Botschafter des Lebens, komm und erzähle uns vom Leben, wir haben dich mit soviel Hoffnung erwartet.“ Aber auch diesmal war der Papst nicht so direkt wie seine Vorredner und die Masse seines Publikums. „Die Liebe siegt immer“, sagte er, „obwohl sie uns manchaml in konkreten Situationen machtlos erscheinen mag.“ Auf die düstere Geschichte des Nationalstadions nahm er Bezug: „Hier, in diesem Stadion, Ort des Wettbewerbs, aber auch des Schmerzes und des Leides in vergangenen Zeiten“. Dafür bekam er massiven Applaus. Der Papst verkündete eine Botschaft der Hoffnung auf eine bessere Welt und eine bessere Zukunft und fragte die Jugendlichen: „Ist es wahr, daß ihr den Abgott der Macht zurückweisen wollt?“ Die Antwort: Ja. „Ist es wahr, daß ihr den Agott des Sex, der Lust zurückweisen wollt?“ Die Antwort: nicht identifizierbar. Zum Abschluß wurde ihm eine Gitarre geschenkt, die im Gefängnis von Santiago hergestellt wurde - langanhaltender Applaus. Nach dem Akt im Nationalstadion sind die Hoffnungen auf das „Wunder“, das vom Papst erwartet wurde, zwar nicht mehr so groß, aber dennoch vorhanden: „Er kann nicht eindeutig Stellung nehmen“, so ein Taxifahrer, der wie fast alle Chilenen die Worte des Papstes im Radio oder im TV verfolgt hatt. „Aber wenn er wieder in Rom ist, vielleicht wird er dann über seine Erfahrung in Chile nachdenken und deutliche Worte sprechen.“ Viele Oppositionelle prognostizieren indessen eine düstere Zukunft: „Wenn er wieder weg ist, dann wird die Regierung aufräumen.“ Iris Stolz