I N T E R V I E W Der Daimler–Faschismus

■ Karl–Heinz Roth zum Verhältnis von Finanzkapital, Großindustrie und Politik im Nationalsozialismus

taz: Du behauptest in deinem Aufsatz zur Geschichte des Daimler–Benz–Konzerns und seiner Vorgänger, es habe einen Daimler–Faschismus gegeben. Was meinst du damit? Karl–Heinz Roth: Damit beschreibe ich die spezifische historische Situation des Jahres 1920: die Konterrevolution bei Daimler, der Zustand nach der Massenentlassung, die im August / September 1920 zu einer völligen Umschichtung der Belegschaft führen sollte. In diesem Kontext werden psychotechnische Verfahren entwickelt, die aus dem 1. Weltkrieg stammen, um die nachrückende Arbeitergeneration, die Lehrlinge, zu selektieren. Ich habe den Begriff des Daimler–Faschismus ganz bewußt nur für diese eine Periode benannt: er leuchtet ganz kurzfristig auf und dann kommt es zu einem status quo mit den Arbeitern. Haben Eure Forschungsarbeiten über Daimler–Benz Ergebnisse zutage gefördert, die das Verhältnis von Großindustrie, Finanzkapital und faschistischen Eliten nochmal in einem neuen Licht erscheinen lassen? Ich erwarte von unseren Ergebnissen schon einen kleinen Feuersturm in der Zunft der Historiker. In den vergangenen Jahren ist ja eine sehr groß angelegte unternehmensloyale Historikeroffensive gestartet worden, mit Henry A. Turner und dann der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte, die die offizielle Daimler–Benz–Geschichte publiziert hat. Die Gesellschaft für Unternehmensgeschichte ist insofern nochmal interessant, als sie 1973/74 von der Deutschen Bank reorganisiert worden ist - Abs wie immer, geschichtsbewußt an erster Stelle. Und die haben versucht, die Wirtschaftsgeschichte aus der kritischen Aufarbeitung des Nazismus endgültig zu eliminieren. Ich glaube, daß es uns gelungen ist nachzuweisen, wie sich der Zusammenhang zwischen Finanzkapital und Großindustrie seit der wilhelminischen Ära konstitutiert hat. Wir haben gezeigt, was eine Industriefiliale der Deutschen Bank ist - das wußten wir bisher nicht. Und wir haben vor allem gelernt zu sehen, daß die deutsche Wirtschaft, die Großindustriellen und Finanziers in der Lage gewesen sind, strategisch zu planen und daß im Zentrum dieser Planung die wirtschaftspolitischen und die allgemeinpolitischen Rahmenbedingungen stehen. Das heißt: Das Finanzkapital plant die politischen Rahmenbedingungen strategisch vor und das, was dort drei Jahre zuvor diskutiert wird, wird dann in der politischen Klasse in merkwürdigen Ausuferungen umgesetzt, debattiert, strukturiert. Wir haben gezeigt, wie 1943/44, als die Analyse des Finanzkapitals zu dem Ergebnis kommt, daß der Krieg verloren ist und der Hauptsieger die USA sein werden, wie gerade bei Daimler–Benz, dem am weitesten nazifizierten Konzern der Motoren–Kraftfahrtindustrie, eine Absetzbewegung von der politischen Macht stattfindet. Für die Führung des Konzerns begann 1943/44 das politische Schicksal des Machtsystems, das sie 1931/32 selbst etabliert hatten, völlig uninteressant zu werden und sie begannen die Früchte ihrer Politik zu sichern: die taylorisierte Massenproduktion, das Fließband, modernisierte Produktionsanlagen. Das wurde in den Nachkrieg gerettet. Wir haben mit diesem Nachweis einen Punkt erreicht, wo wir synthetisch darstellen könne, was den Linken in der amerikanischen Militärregierung schwante - mit diesem Buch beenden wir also ein Stück weit die Aufarbeitung einer zerstörten kritischen Analyse des nazistischen Wirtschafts– und Machtpotentials durch linke Amerikaner und beginnen mit unseren eigenen Forschungen. Oliver Tolmein