: Immer Ärger mit der Volkszählung
■ Baden–württembergische Grüne klagen gegen Sperrung ihres „Zählsorgetelefons“ vor Staatsgerichtshof Kein Bußgeld in Nordrhein–Westfalen? / Rechtswidriger Fragebogen in Ulm verschickt
Stuttgart (taz) - Mit einer „Organklage“ vor dem Staatsgerichtshof wollen sich die baden– württembergischen Grünen jetzt gegen die Sperrung eines ihrer Landtagstelefone durch den Präsidenten des Landtags, Erich Schneider, wehren. Der Stuttgarter Landtagspräsident hatte die Sperrung angeordnet, nachdem Mandatsträger der Grünen sich öffentlich zum Boykott der anstehenden Volkszählung bekannt und einen ihrer Landtagsanschlüsse in einem Flugblatt für Informations– und Beratungsdienste angeboten hatten. Aus „Sorge vor evtl. Ordnungswidrigkeiten“ durch die Grünen hatte der Landtagspräsident verfügt, daß deren Telefonanschluß aus dem Stuttgarter Landtag heraus zwar benutzt, von außen aber nicht angewählt werden konnte. „Die Ausübung des freien Mandats“, klagen jetzt die Grünen, sei durch diesen „vorparlamentarisch–monarchistischen Maulkorb“ verhindert. Der Landtagspräsident habe sich, ohne jede Rechtsgrundlage, polizeiliche Befugnisse angemaßt, die allein den Strafverfolgungsbehörden zustünden. Über das sog. „Zählsorgetelefon“, so der grüne Landtagsabgeordnete Rezzo Schlauch, sei weder zum Boykott aufgerufen worden, noch hätte bei den täglich ca. 15 Telefonaten eine unzulässige Rechtsberatung stattgefunden. diwi Berlin (taz) - Zwangsverpflichtete Volkszähler/innen können in Nordrhein–Westfalen im Falle einer Weigerung nicht mit einem Bußgeld belangt werden. Volkszählen gilt nämlich per Gesetz als Ehrenamt, dessen Bestimmungen nicht in dem Volkszählungsgesetz, sondern in den Verwaltungsverfahrensgesetzen der einzelnen Bundesländer geregelt sind. Das nordrhein–westfälische Verwaltungsgesetz weist jedoch gegenüber den anderen Ländergesetzen hier eine Besonderheit auf. Am 6.11.84 hat NRW den Paragraph 87 dieses Gesetzes, der die Verweigerung eines Ehrenamts als Ordnungswidrigkeit wertet, ersatzlos gestrichen. Damit besteht in NRW keine Rechtsgrund lage mehr für ein Bußgeld gegen Zählunwillige. In Sachen Bußgeld gegen Boykottaufrufer ist das nordrhein– westfälische Innenministerium jetzt einen Schritt hinter seiner Ankündigung zurückgewichen, man werde solche Aufrufe in NRW nicht ahnden. Zwar gibt es eine Empfehlung des Innenministeriums an die Gemeinden, Boykottaufrufe nicht mit einem Ordnungsgeld zu ahnden, wenn Gemeinden, wie jetzt die Stadt Bonn, jedoch ein solches Verfahren einleiten, hat das Innenministerium darauf keine Einflußmöglichkeit mehr.
Ve Ulm (taz) - Im Vorfeld der Volkszählung hat die Stadt Ulm einen rechtswidrigen Fragebogen verschickt. Zu diesem Ergebnis kommt die baden–württembergische Landesdatenschutzbeauftragte Dr. Ruth Leuze. Wie in anderen Städten des Bundesgebietes auch, wurde in Ulm bereits die „Gebäudevorerhebung“ für die Volkszählung durchgeführt. Bei der Auswertung dieser Fragebögen entdeckte der Leiter des Volkszählungsbüros der Stadt Ulm, Walter Erdle, Erstaunliches: In 43 Gebäuden in der Donaustadt finden sich Arbeitsstätten, von denen die städtischen Ämter bislang gar nichts wußten. Erdle reagierte prompt: Ein neuer Fragebogen wurde verschickt. „Mit freundlichen Grüßen“ sollten da die Gebäudeeigentümer mitteilen, „welche Firma oder welche Einzelperson (Name, Geschäfts– oder Berufsbezeichnung) in diesem Gebäude eine Arbeitsstätte enthält“. Auf Anfrage der Gemeinderatsfraktion der Grünen schickte die Landesdatenschutzbeauftragte einen Mitarbeiter nach Ulm. Fazit: Auch wenn die Überlegungen, die zu dem zusätzlichen Papier geführt haben, „verständlich erscheinen, ist doch festzustellen, daß die Aktion nicht rechtmäßig war“. Erste Reaktionen des zuständigen Bürgermeisters Dr. Götz Hartung: Die Fragebögen wurden vernichtet, die Daten gelöscht; Walter Erdle bleibt weiter Leiter des Volkszählungsbüros.
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