piwik no script img

Machtprobe in Argentinien

■ Die bislang schwerste Krise der jungen argentinischen Demokratie / Von Gabi Weber

Ein Oberstleutnant machte sich zum Führer einer Rebellion, die Argentinien vier Tage in Atem hielt. Mit Offizierskollegen verschanzte er sich in einer Infanterie–Schule und forderte unter anderem eine Generalamnestie für al Präsidentenpalast in Buenos Aires wartenden Leuten die Kapitulation der Offiziere bekanntgeben.

„Das Haus ist wieder in Ordnung. Es ist kein Blut geflossen in Argentinien.“ Mit diesen Worten gab der argentinische Präsident Raul Alfonsin am späten Ostersonntag vor dem Regierungspalast das Ende einer viertätigen Militärrevolte bekannt. Die Aufständischen hätten sich ergeben, ihre Waffen abgeliefert und säßen im Gefängnis. Er danke dem Volk, das zu Hunderttausenden den Regierungssitz geschützt habe. Schöne Worte, und in der Tat ist das Haus wieder in Ordnung. Doch um ein Haar wäre die Situation außer Kontrolle geraten. Tagelang verweigerten große Teile des Militärs der Regierung den Gehorsam. Ein Rückblick auf die Chronologie der Ereignisse: Ein Folteroffizier der Militärdiktatur revoltiert In der Nacht zum Mittwoch, dem 15. April, teilt der Major Ernesto Barreiro seinen Vorgesetzten offiziell mit, daß er der Vorladung eines Zivilrichters keine Folge leisten werde. Der 37jährige Barreiro, Familienvater von fünf kleinen Kindern, war während der Militärdiktatur in den Jahren 1976 bis 1979 Chef im geheimen Folterzentrum „La Perla“. Er nannte sich „Hernandez“, „Gringo“ oder einfach „Nabo“ (Dummkopf). Barreiro war nicht nur ein bekannter Ideologe der Repression und Mitglied einer Militär–loge, sondern wegen seiner grausamen Folterpraktiken dermaßen verrufen, daß er noch während der Diktatur von General Luciano Benjamin Menendez in Arrest geschickt wurde. Die derzeitige Anklage gegen ihn bezieht sich auf sechs nachgewiesene Fälle, in denen er seine Opfer zuerst gefoltert und dann ermordet hat. Einen Tag nach der Mitteilung an seine Vorgesetzten, in der Nacht zum Donnerstag, verbarrikadiert sich Barreiro mit einigen Kameraden in der Kaserne in Cordoba (700 Kilometer nördlich von Buenos Aires) im Offizierskasino. Donnerstag morgen entläßt ihn das Verteidigungsministerium unehrenhaft aus dem Militär. Die Strategie von Präsident Alfonsin Einige Stunden später begibt sich Alfonsin in das Regierungsgebäude, die „Casa Rosada“, und beruft eine Notstandssitzung des Kabinetts ein. Auf drei Füßen - so wird in dieser Sitzung beschlossen - solle die Regierungsstrategie stehen: Sowohl die politische Opposition als auch die militärische Hierarchie sollen mit dem Krisenstab zusammenarbeiten. Und daneben gelte es, das Volk einzubinden. Das Ganze funktioniert. Peronisten und Gewerkschaften versichern ihre Unterstützung. Und am Donnerstag um 17 Uhr beordert der Generalstabschef, Hector Rios Erenu, seine Generäle zu sich. Bei dieser geheimen Unterredung soll die Militärhierarchie von einem Putsch Abstand genommen haben. Alfonsin ruft über Radio und Fernsehen seine Untertanen zur Protestdemonstration am selben Abend auf. Der Präsident gibt die Parole aus: „Diktatur oder Demokratie“. 250.000 Argentinier kommen zum Kongreßgebäude, um ihn zu begleiten. In seiner Rede erklärt Alfonsin, daß er nicht zu Verhandlungen mit den Aufständischen bereit sei und daß die Meuterer entsprechend des Gesetzes zur Rechenschaft gezogen würden. Zwischen den Zeilen läßt er Kompromißbereitschaft durchblicken: „Die Vernunft muß siegen. Ich hoffe, daß die Aufständigen Einsicht gewinnen, um aus ih rer Verwirrung mit der sauberen Ehre von Soldaten hervorzugehen, die ihre Pflicht erfüllen. Wir wollen keine Repressalien.“ Aber die Aufständischen in Cordoba um den inzwischen degradierten Major Barreiro fordern eine Amnestie für die Offiziere, die Entlassung des Generalstabschefs Rios Erenu und die Beendigung der Kampagne gegen die Streitkräfte. Am Freitag mittag schließen sich unter der Führung des Oberst Aldo Rico in der Infanterie–Schule „Campo de Mayo“ in Buenos Aires 70 Offiziere dem Aufstand an. Die Flucht des Anführers Wenige Stunden später befiehlt Alfonsin, der zugleich Oberkommandierender der Streitkräfte ist, mit allen militärischen Mitteln gegen die Aufständischen vorzugehen. Daraufhin flüchtet Barreiro mit einer Maschinenpistole in der Hand aus der Kaserne in Cordoba. Verhaftet wird er nicht, weil seine Kameraden, die den Befehl zur Festnahme haben, ihn - wie sie im Radio sagen - „nicht verletzen wollen“. Über seinen derzeitigen Aufenthalt gibt es im Moment drei Versionen: Uruguay (wo die Folter–Militärs mit einer Amnestie bedacht wurden), Paraguay und das Privathaus des Bischofs in Cordoba. Mit der Einnahme der Kaserne „Campo de Mayo“ in Buenos Aires wird General Ernesto Alais beauftragt. Um seine Panzer von seinem 60 Kilometer entfernten Standort in die Hauptstadt zu bringen, braucht er die ganze Nacht. Der Samstag vergeht ohne militärische Aktivität; die Presse berichtet über Heeresbewegungen, aber es geschieht nichts. Warum, das erklärt einer der Aufständischen den versammelten Journalisten gegenüber: Er bezweifele, daß Alfonsins Befehl ausgeführt wird, weil „die eingesetzten Offiziere alle unsere Kameraden sind, mit denen wir zusammen ausgebildet wurden“. Daß das nicht nur Wunschträume sind, bestätigt der Senator der Regierungspartei, Adolf Gass: „Es gibt Probleme beim mittleren Offiziersrang, und deshalb ist noch nicht eingegriffen worden.“ Mit Spottliedern gegen Putschisten Während der Befehl Alfonsins vom Militär 36 Stunden lang nicht in die Praxis umgesetzt wird, ergreifen andere die Initiative. Etwa 1.000 Personen, darunter viele Frauen, verschaffen sich Zugang zur Kaserne „Campo de Mayo“ und treten den schwerbewaffneten Offizieren entgegen. Die meuternden Soldaten tragen kugelsichere Westen und Kampfanzüge und haben sich ihre Gesichter mit schwarzer Farbe bemalt. Die Zivilisten ignorieren die auf sie gerichteten Gewehre und rufen den Offizieren zu: „Geh dir das Ge sicht waschen, du Clown.“ Spottlieder werden angestimmt, der Erfolg ist durchschlaggebend: Die Wachen ergreifen die Flucht und verschanzen sich im Gebäude. Das Happy–end ist eingeläutet. Zivile Gruppen rufen in einer Vier–Punkte–Erklärung die Bevölkerung auf, „sich auf Straßen und Plätzen zu versammeln, um ihre Unterstützung für die Demokratie“ zu demonstrieren. Am Ostersonntag nimmt Alfonsin dann das Heft wieder in die Hand. Er erklärt den Hunderttausenden, die inzwischen singend und fahnenschwingend vor dem Regierungspalast zusammengekommen sind, er werde nun in die rebellierende Kaserne fahren, um das Problem aus der Welt zu schaffen. Sprichts , steigt in den Hubschrauber und fliegt tatsächlich zum „Campo de Mayo“. Wenige Stunden später betritt er wieder den Balkon der Casa Rosada. Seine ersten Worte: „frohe Ostern“. Die aufständischen Offiziere, erfährt das Volk, hätten sich ergeben und befänden sich in Haft. Mit Ovationen wird der Caudillo begrüßt und nur vorübergehend verwandelt sich der Applaus in Pfiffe, als er die Meuterer als „Helden des Malwinen–Krieges“ bezeichnet. Ein taktischer Ausrutscher, der sicher nicht versehentlich fiel: die Meuterei - so mußte Alfonsin den Rebellen vermutlich versprechen - darf nicht gegen die Streitkräfte insgesamt benutzt werden. Sein Volk bezeichnet Alfonsin, der weltweit als „Retter der Demokratie“ gefeiert wird, in seiner Ansprache als „Protagonist des Triumpfes“. Doch daß diese Hauptdarsteller sogar die Kasernen stürmen, das muß eine schlimmere Vorstellung für die Regierung sein als ungehorsame Militärs. In seinen letzten Worten vom Balkon herab fordert Alfonsin die Demonstranten zum Verlassen der Kasernen und der Straße auf. „Ich bitte Sie, sofort wieder nach Hause zu gehen, um Ihre Kinder zu küssen und dieses argentinische Ostern zu feiern.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen