: IRA nach 18 Jahren Krieg
■ Seit Jahresbeginn setzt die Irisch–Republikanische Untergrundarmee wieder verstärkt auf Attentate gegen britische Hoheitsträger in Nordirland Doch eine Massenbewegung für ihren Kampf wie 1981 ist nicht in Sicht
Aus Dublin Ralf Sotschek
Als am vergangenen Samstag eine ferngezündete Bombe der IRA (Irish Republican Army) den zweithöchsten Richter Nordirlands, Lord Maurice Gibson, und dessen Frau tötete, hatte die jüngste militärische Kampagne der Organisation einen Höhepunkt erreicht. Richter Gibson hatte 1984 Polizisten freigesprochen, nachdem sie drei unbewaffnete IRA– Mitglieder mit nicht weniger als 109 Kugeln durchsiebt hatten. Seit einem halben Jahr hat die IRA ihre bewaffneten Anschläge wieder verstärkt. Allein am 6.April gerieten in der nordirischen Hauptstadt Belfast vier Polizeireviere unter Beschuß, und vierzig Bomben gingen hoch. An diesem Tag sollte ein IRA–Freiwilliger beerdigt werden, der von protestantischen Paramilitärs ermordet worden war. Das Begräbnis mußte verschoben werden. Bomben, Morde an Polizisten, Gefängniswärtern, Soldaten sowie Geschäftspartnern von Polizei oder Armee häufen sich und strafen Londons Nordirland–Minister King Lügen, der von einer Normalisierung des Alltags in der britischen Quasi–Kolonie spricht. Der Krieg, den die IRA für die Unabhängigkeit des nördlichen Inselteils und für seine Wiedervereinigung mit dem Süden führt, geht mittlerweile ins achtzehnte Jahr. Die Neugründung der Untergrundorganisation ging An fang der siebziger Jahre direkt auf die verfehlte Nordirlandpolitik der Londoner Regierung zurück. Auf eine moderate Bürgerrechtsbewegung, die für das Drittel katholischer Nordiren rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung forderte, reagierte London mit Härte und Brutalität. Die IRA wurde dagegen zunächst zur Selbstverteidigung gegründet: Sie versuchte, die Viertel der katholischen Minderheit vor den Übergriffen der protestantischen Polizei und der rechtsradikalen protestantischen Banden zu schützen. Verhandlungslösung nicht in Sicht Eine Entscheidung im Krieg um Nordirland ist auch heute noch nicht in Sicht. Militärisch ist die IRA nicht in der Lage, die britische Armee „ins Meer zu treiben“, wie sie es großspurig angekündigt hat. Doch gelingt es der britischen Armee genauso wenig, der Untergrundarmee den Garaus zu machen, wie das jüngste Attentat auf Richter Gibson beweist. Offenbar kannten die Attentäter Sicherheitsvorkehrungen der südirischen und der nordirischen Polizei genau: Die 500–Pfund– Bombe ließ Gibsons Auto genau auf der kurzen Strecke im unmittelbaren Grenzgebiet hochgehen, auf der sein Auto von keiner der beiden Polizeieinheiten eskortiert wurde. Zu einem ebenbürtigen Gegner der britischen Armee ist die IRA nicht geworden - als politische Kraft kann sie dennoch nicht ignoriert werden. Für eine Verhandlungslösung fehlt es andererseits an notwendigen Voraussetzungen. Das Schicksal des Abkommens, das Großbritannien und die Republik Irland im November 1985 schlossen, um die Lage der immer noch als Bürger zweiter Klasse behandelten Katholiken Nordirlands zu verbessern, spricht eine deutliche Sprache. Die ohnehin spärlichen Garantien für sie sollten durch ein genau politischer Flügel Sinn Fein ihrerseits mit Radikalisierung: Wenn sich die Protestanten schon gegen läppische Reformversuche wehrten, dann könne man auch wieder die Maximalforderung nach einem vereinten Irland auf den Tisch bringen. Der protestantische Widerstand könne schließlich kaum noch heftiger werden. Kriegsmüdigkeit Die anfängliche Zustimmung weiter Teile der katholischen Bevölkerung Nordirlands zum anglo–irischen Abkommen, die sich nicht zuletzt in Wählerstimmen für die gemäßigte Sozialdemokratische Partei niederschlug, geht wohl auf die Kriegsmüdigkeit in der Bevölkerung zurück - kaum verwunderlich nach 18 Jahren Abnutzungskrieg mit nahezu 2.600 Toten. Doch inzwischen hat sich Ernüchterung über das faktisch gescheiterte Abkommen breitgemacht. Die Sympathien für IRA und Sinn Fein sind im nördlichen Inselteil seitdem wieder gestiegen. Im Süden allerdings lassen sich Sympathieerklärungen für den bewaffneten Kampf der IRA nicht so leicht in Wählerstimmen umsetzen. Nachdem Sinn Fein auf ihrem Parteitag im vergangenen November den - intern umstrittenen - Beschluß gefaßt hatte, den bisherigen Boykott des südirischen Parlaments aufzugeben, kam man dann bei den Wahlen im Februar nur nur auf knappe zwei Prozent. Offenbar hat der Kampf der IRA nicht mehr die gleiche gesamtirische Ausstrahlung wie noch Anfang der achtziger Jahre. Damals steckte die IRA schon einmal in der Sackgasse, und es war die Massenbewegung gegen die Gefängnisbedingungen in Nordirland, die ihr dort heraushalf. Eine solche Massenbewegung, die der Isolierung des bewaffneten Kampfes entgegenwirken könnte, ist diesmal nicht in Sicht. Vorerst muß eine Serie von Attentaten allen Zweiflern beweisen, daß der bewaffnete Kampf trotz des neuen parlamentarischen Engagements weitergeht.
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