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AIDS: Anzeige wegen Blutkonserven

■ Hoher Beamter des Bundesgesundheitsministeriums von Berliner Anwalt wegen Körperverletzung angezeigt / Anlaß ist seine Verantwortlichkeit für AIDS–Infektion von Blutern durch ungeprüfte Blutkonserven

Berlin (ap) - Die Bonner Staatsanwaltschaft ermittelt derzeit gegen einen leitenden Beamten des Bundesgesundheitsministeriums, der nach Meinung eines Berliner Rechtsanwalts mitschuldig ist, daß etwa ein Drittel der in der Bundesrepublik lebenden 6.000 Bluter mit dem Virus der tödlichen Immunschwächekrankheit AIDS infiziert sind. Grundlage des Ermittlungsverfahrens ist die Strafanzeige des Anwalt Siegbert Setsevits wegen des Verdachts der Körperverletzung und des Ver dachts der Beihilfe zum Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz. Nach Angaben eines Bonner Justizsprechers vom Montag prüft die Anklagebehörde, ob der Leiter der Abteilung Gesundheit, Manfred Steinbach, dafür verantwortlich war, daß die betroffenen Menschen in bundesdeutschen Kliniken mit AIDS–verseuchten Blutpräparaten behandelt wurden. Nach Ansicht Setsevits hätte Steinbach als Chef der zuständigen Abteilung des Ministeriums dafür sorgen müssen, daß die Kli niken vom Bundesgesundheitsamt (BGA) in Berlin angewiesen werden, nur noch solche Blutzusätze zu verwenden, die vorher auf das Virus untersucht wurden. Auch der Berliner Brancheninformationsdienst Arznei–Telegramm wirft dem Bundesgesundheitsministerium vor, für das epidemische Ausmaß der „bislang nach Contergan größten Arzneimittelkatastrophe“ verantwortlich zu sein. Der Sprecher des Dienstes, Ulrich Moebius, sagte: „Ende 1982 war erkennbar, daß die Bluterkranken von einer AIDS–Welle überrollt werden, wenn die bis dahin praktizierte Versorgung mit Präparaten aus den USA nicht aufgegeben wird.“ Während in Frankreich, der Schweiz und Schweden zum Teil schon seit 1984 besondere Vorsorgemaßnahmen vor allem bei Blutimporten aus den USA getroffen worden seien, habe das BGA erst am 1. Oktober 1985 Untersuchungen verbindlich angeordnet, kritisierte Moebius. BGA–Sprecher Klaus–Jürgen Henning bestätigte auf Anfrage das Ausmaß der Infektionen. Zugleich verteidigte Henning aber das Verhalten seiner Behörde: „Wir waren weltweit die erste Gesundheitsbehörde, die 1985 eine verbindliche Untersuchung für die Blutpräparate anordnete. Vorher stand der AIDS–Test noch nicht in dem erforderlichen Ausmaß zur Verfügung.“ Nach Angaben der Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses des Bundestages, Heike Wilms–Kegel von den Grünen, haben Krankenhäuser noch weit bis 1986 hinein „wider besseres Wissen oder fahrlässig“ Blutkonserven aus den USA ohne vorhergehende Untersuchung verwendet. Das Bundesgesundheitsministerium hat mit Entschiedenheit Kritik und Vorwürfe als unbegründet zurückgewiesen. Die Staatsanwaltschaft sei nach dem Legalitätsprinzip dazu veranlaßt, jedem Hinweis nachzugehen. Das Bundesgesundheitsministerium könne die Ermittlungen „mit ruhigem Gewissen“ abwarten.

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