Niederlage für Realos Freie Fahrt für Fundis?

■ Vorstandswahlen der Bundesdelegiertenversammlung in Duisburg verschiebt die Gewichte bei den Grünen / Kontroverse um die Frauenprojekte

Von Oliver Tolmein

Duisburg (taz) - Mit einer überraschend hohen Niederlage für den Realoflügel endeten die Wahlen für den neuen Bundesvorstand der Grünen am Wochenende auf der Bundesdelegierten–Konferenz in Duisburg. Die neuen Sprecherinnen Jutta Ditfurth, Regina Michalik und Christian Schmidt wurden bereits im ersten Wahlgang mit deutlich mehr als der absoluten Mehrheit der Stimmen gewählt. Auf die Besetzung des Sprechertrios reagierte der Beisitzer Helmut Wiesenthal mit seinem Rücktritt. Er begründete das mit einem „zunehmenden Antiintellektualismus im organisato rischen Zentrum der Grünen“. Er wolle in dem „wesentlich gleichförmiger zusammengesetzten Vorstand“ nicht als „Legitimationsfigur“ dienen. Als neue Beisitzer wurden Johann Müller–Gazurek (AL–WestBerlin), Jürgen Maier (Baden–Württemberg) und Rolf Grösch neu gewählt. Maier und Grösch gelten als gemäßigte Realos, während Müller–Gazurek eher den Linken zugerechnet wird. Neben der Wahl des Bundesvorstands waren die Auseinandersetzungen um eine Bundesarbeitsgemeinschaft „Mütter“, die zu gründen vor allem die Autorinnen des „Müttermanifestes“ forderten, der wichtigste Diskussionspunkt. Während die Autorinnen des Müttermanifestes für eine Aufwertung der Erziehungs– und Hausarbeit eintreten, engagiert sich die Mehrheit der derzeitigen Bundesarbeitsgemeinschaft Frauen für eine Aufhebung der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung. Die Forderungen der Befürworterinnen der BAG– Mütter wurden im wesentlichen erfüllt: Sie werden zwar keine BAG bekommen, innerhalb der BAG Frauen aber als eigenständige Gruppe und mit eigenem Etat arbeiten können. Fortsetzung auf Seite 2 Kommentar auf Seite 4 Bericht und Interview auf Seite 5 Eindeutig stimmten die Delegierten für eine Professionalisierung ihres Bundesvorstands: nach der mit 2/3–Mehrheit beschlossenen Satzungsänderung können die Vorstandsmitglieder künftig bezahlt werden. Die Stiftungsdiskussion, zu der mehrere Anträge vorlagen, wird auf einem Sonderparteitag im Herbst dieses Jahres weiter– und zuendegeführt werden. Für Aufsehen bei den bürgerlichen Medien sorgte vor allem der ohne Diskussion gefasste Beschluß der Bundesdelegiertenkonferenz, den Volkszählungsboykott zu unterstützen. „Unter einem strategischen Gesichtspunkt ist dieser Parteitag nullemittent gewesen“ Dieses Defizit wurde nicht nur von Joschka Fischer kritisiert. Eine bis zur Wahl des Bundesvorstands weitgehend lethargische Stimmung wurde dem Parteitag von vielen Delegierten und Journalisten in Diskussionen am Rande des Parteitags attestiert. Inhaltlich wurde kaum ausführlich gestritten: Selbst die Auseinandersetzung über die Rechenschaftsberichte des Vorstands am Freitagabend kam nur äußerst zäh in Gang. Allerdings erwies sich auch das Treffen der „Unabhängigen“ als Flop: eine breite Strömung jenseits oder diesseits des Realo–Linken–Konflikts konnte auf dem Parteitag nicht ausgemacht werden, die knapp sechzig Versammelten konnten sich auch auf keine gemeinsame Linie einigen. Die lange andauernden Gespräche der prominenten Grünen auf den Gängen und die weitgehend leidenschaftslos geführte Diskussion der zumeist brav auf ihren Plätzen sitzenden Delegierten im Saal erweckten den Eindruck, als fänden zwei Parteitage in Duisburg statt. Zu der insgesamt eher gedämpften Stimmung paßte auch die Debatte über die Friedenspolitik der Grünen, vor allem die Position der Bundestagsfraktion zur Null–Lösung, die am Sonntag nachmittag geführt wurde. Über den Antrag der BAG Frieden, daß die sofortige Aufhebung des Stationierungsbeschlußes Kern eines Entschließungsantrages der Grünen im Rahmen der Nullösungsdebatte am 7. Mai sein sollte, konnte nur noch ein Meinungsbild erstellt werden: 3/4 der Anwesenden forderten die Fraktion auf, einen entsprechenden Antrag in den Bundestag einzubringen. Ordentlich beschlossen werden konnte dieser Punkt aber nicht mehr: es waren nur noch 200 Delegierte anwesend. Der Parteitag endete beschlußunfähig.