Grüner Strategiestreit

■ Friedensbewegung und Bundesvorstand kritisieren Kompromißbereitschaft der Fraktion

Zwist um die „Null–Lösung“ gibt es nicht nur in der Regierung, sondern auch in der Grünen–Bundestagsfraktion; genauer zwischen einem Teil der Grünen–Fraktion, dem Bonner Koordinationsausschuß der Friedensbewegung und dem Grünen–Bundesvorstand. Die Konstellation ist etwas ungewöhnlich und auf den ersten Blick schwer zu verstehen. Stein des Anstoßes ist der Entschließungsantrag, den die Grünen–Fraktion gestern im Bundestag zur Abstimmung stellte: Darin werden die Großmächte aufgefordert, „ihre grundsätzlich erzielte Einigung“ über die Abrüstung von Pershing–II, Cruise Missiles und SS–20–Raketen „noch in diesem Jahr vertraglich abzusichern“ und mit der Verschrottung und Auflösung der zugehörigen Raketenverbände zu beginnen. Im Anschluß an ein solches Abkommen müsse die UdSSR ihre in der DDR und CSSR stationierten Raketen abziehen und zwar „jenseits von Verhandlungen und ohne Vorbedingungen“. Das, so heißt es, sei unverzichtbar. „Begrüßt“ wird in dem Grünen–Entschließungsantrag „der amerikanische Vorschlag vom Herbst 1986, auch die Mittelstreckenwaffen kürzerer Reichweite reduzieren zu wollen und die sowjetische Bereitschaft, darüber parallel Verhandlungen zu führen“. Und schließlich wird die Bundesregierung aufgefordert, „diesen Verhandlungsprozeß durch eine Erklärung über den Verzicht auf die Pershing Ia der Bundesluftwaffe zu fördern“. Diesen Antrag hat die Fraktion mehrheitlich verabschiedet. Streit hat er vor allem deshalb entfacht, weil fast alle Gruppen im Koordinationsausschuß (KA) der Friedensbewegung und auch der Bundesvorstand darin eine unkritische Übernahme des traditionellen Konzepts der Rüstungskontrolle sehen, und ein Teil der KA–Gruppen befürchtet, daß darüber hinaus die Grünen die Strategie Einseitiger Abrüstung ad acta legen könnten. So hat der KA die Grünen–Fraktion in einem Offenen Brief aufgefordert, den Bundestag zur (einseitigen) Rücknahme des Stationierungsbeschlusses aus dem Jahre 1983 aufzufordern und dies „zum Kern“ eines Antrags zu machen. Der Parteitag in Duisburg unterstützte diese Forderung des KA. Die Friedensbewegung, so heißt es in dem Offenen Brief des KA, habe Abrüstung bei den atomaren Mittelstreckenwaffen unabhängig von den Verhandlungen der Supermächte schon immer für möglich gehalten. Die UdSSR sei nunmehr bereit, „alle SS–20 aus dem europäischen Teil ihres Landes zu beseitigen, ebenso alle nach der Pershing–II und Cruise Missiles– Stationierung neu in Stellung gebrachten operativ–taktischen Raketen kürzerer Reichweite“. Auch nach der inneren Logik des Doppelbeschlusses, so lautet die Position des KA, „sind damit alle Voraussetzungen des Stationierungsbeschlusses des Deutschen Bundestages vom 22.11.1983 entfallen“. In der Grünen Fraktion wird dagegen die Befürchtung geäußert, die Möglichkeit, zu einem Abkommen über die beiderseitige Verringerung der Mittelstreckenwaffen zu kommen, könnte gefährdet werden, wenn man zum gegenwärtigen Zeitpunkt an Positionen einseitiger Abrüstung festhalte. Die Fraktion verband mit ihrem Entschließungsantrag aber auch eine taktische Überlegung: Sie wollte die Unionsparteien im Bundestag vorführen. urs