Gut getarnt unter Milliarden und Pfingstrosen

■ Baby–Doc Duvalier, der ehemalige Diktator von Haiti, führt an der Cote dAzur ein sorgenfreies Leben in der Nachbarschaft der Reichen der Welt / Annahme der Klage auf Rückgabe der Duvalier–Millionen an haitianische Regierung noch unklar

Aus Grasse Georg Blume

Wer erinnert sich an Baby–Doc? Zumindest der Taxifahrer in Mougins. Er fährt die Tour zur Villa Mohammedia nicht zum erstenmal. Vom Taxistand im alten Dorfkern mit dem Mittelmeer im Rückspiegel den Hügel hinab in das duftende, blühende Tal, dorthin, wo der vergessene Diktator von Haiti residiert. Ausnahmsweise muß der Taxifahrer bereits vor den Toren der Villa halten - sonst aber bringt er die Freunde des Despot vor die Haustür, chauffiert unter den Augen von Leibwächtern und Schäferhunden die steile Auffahrt empor und - kassiert Trinkgeld, und das offenbar nicht schlecht. Das Versteck ist gut gewählt. Nicht etwa, weil ihn hier niemand kennen oder bemerken würde. Statt dessen setzt Baby–Doc alias Jean–Claude Duvalier auf den Tarnfarbeneffekt, ganz nach dem Motto „nicht auffallen, dann kann man auch nicht reinfallen“. Denn in Mougins, zwischen Nizza und Cannes, auf dem teuersten Streifen der Cote–dAzur, ist Baby– Doc unter seinesgleichen, unter Milliardären und vor allem: unter ausländischen Milliardären. Der französische Gendarm, der gelangweilt vor des Dikatators Toren wacht, erzählt gerne, warum er bei seinem Job keine Aufregung verspürt: „Diese Gegend gehört uns nicht mehr. Hier sind die großen Leute der Welt versammelt und wir allenfalls gut für Dienstleistungen. Ob ich nun bei Baby– Doc oder sonstwem vor der Tür stehe, macht doch keinen Unterschied.“ Die Villa Mohammedia mit ihrem hektargroßen Luxusgarten hat die Familie Duvalier - zu sechst, Mann, Frau, Großmutter und drei Schwestern sind sie hier vor einem Jahr angereist - von ihrem saudi–arabischen Freund, dem berühmten Waffenhändler Adman Kashoggi, angemietet. Zuvor hatten sich die verantwortlichen lokalen Politiker des Departements, allesamt unter der Fuchtel des rechtsradikalen Bürgermeisters von Nizza, Jacques Medecin, für den Empfang von Baby–Doc engagiert, nachdem der flüchtige Diktator im liberalen Grenoble erfolglos auf der Suche nach einem Aufenthaltsort blieb. Damals noch, im Februar 1986, bemühte sich die französische Regierung, Baby–Doc in ein drittes Land auszuweisen, heute ist sein inoffizieller Aufenthaltsstatus längst akzeptiert. Wer also erinnert sich an Baby– Doc, an seine Miliz vor allem, an die Folter in Haiti, an Armut und Elend unter der Diktatur, die das Land zu einem der drei ärmsten der Erde herunterwirtschaftete? Zwei Pariser Anwälte, bestellt von der neuen haitianischen Regierung des ehemaligen Generalstabschefs Aubry sind der Familie Duvalier auf der Spur. Sie wollen nicht die Auslieferung des Diktators - sein Prozeß in Haiti würde den neuen Machthabern nur Ärger bereiten - sie wollen sein entführtes Geld zurückhaben. Noch ist offen, ob das Zivilgericht in Grasse, das am Donnerstag in Sachen Duvalier tagte, die Klage der Anwälte annehmen wird, doch kann Rechtsanwalt Yann Colin heute aufs Genaueste erklären, wie Baby–Doc, der Plünderer zu seinen Milliarden kam. „Das ist ganz einfach,“ sagt Colin, nimmt ein Blatt Papier und skizziert einen Scheck der haitianischen Nationalbank. „Er hatte freie Verfügung über die staatlichen Konten, überwies die Gelder mit der eigenen Unterschrift auf sein Privatkonto und brachte sie meist in bar ins Ausland. Er brauchte kein weiteres System, er mußte sich gegenüber niemanden rechtfertigen.“ Von überall kamen die Millionen, von den internationalen Zuschüssen für die sozialen Hilfswerke, die Frau Duvalier verwaltete, wie auch von der Dominikanischen Republik, in die Baby–Doc jährlich 30.000 Zwangsarbeiter entsandte. Yann Colin hat alles schwarz auf weiß, Dokumente, Bankauszüge etc., hat die Beschlagnahmung der Konten der Duvaliers in Westeuropa und den USA erreicht, doch umsonst: seine Nachforschungen verlangten Zeit, Zeit genug für Baby–Doc, seine gefährdeten Konten rechtzeitig zu leeren. Niemand weiß, wie das Geld heute in die Villa Mohammedia gelangt, mit dem die Duvaliers derzeit ihr Departement bereichern, nur weiß man inzwischen viel zu gut, daß sie immer in bar zahlen. Eine gute Stunde halte ich mit dem Gendarm gemeinsame Wache vor der Villa Mohammedia: Zwei Wagen lassen wir auf Befehl der Wechselsprechanlage passieren, einen Kleider– und einen Schuhlieferanten. Baby– Doc lebt in keinem abgeschotteten Exil. Sein Haus ist eine Goldgrube für alle führenden Boutiquen und weltbekannten Parfümerien von Nizza bis Grasse. Alle wissen es, nicht nur Taxifahrer und Gendarm: der kleine, düstere Malergeselle (“Das Geld findet immer zueinander“), der starkbrüstige Cafebesitzer (“Ich bin Rassist. Baby–Doc raus!“) und schließlich der ältere, faltige Automechaniker: „Als Baby–Doc ankam, hat sich alle Welt empört. Aber die Franzosen vergessen schnell.“ Öffentliche Empörung zeigen heute einzig noch die Kommunisten, routinemäßig. Auch die direkten Nachbarn des Diktators, erstaunlicherweise keine großen Leute, haben sich arrangiert: „Man bemerkt seine Gegenwart nicht, und seine Person interessiert uns wirklich nicht. Er hat doch nicht unsere Mentalität.“ Frankreich ist das Land des politischen Asyls, und Baby–Doc hat tolerante Nachbarn. Die Frau ist so nett und fährt mich an die einzige Stelle, von der man Einsicht in den Garten der Villa hat: auf die Autobahn. Von der Leitplanke bewundere ich dunkelrote Pfingstrosen unter Schirmpinien, Bäume und Blumen um einen Springbrunnen mit Statue, umstellt mit Liegestühlen. An diesem Donnerstagabend ist Baby–Doc nicht zu Hause (er ist in Cannes bei der Eröffnung des Film–Festivals), ansonsten aber wird er dort in seinem Liegestuhl vor allem den Dunst der Autobahn einatmen. Immerhin ein kleiner Trost.