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Zentralafrika: Hilflos gegen AIDS

■ Die soziale Situation macht die Länder Zentralafrikas für die Seuche besonders angreifbar / Von Kuno Kruse

Mangelnde medizinische Versorgung, Hunger und Folgeerscheinungen des Bürgerkrieges in Uganda bilden den Hintergrund, vor dem sich in Zentralafrika AIDS zu einer Tragödie entwickelt. Bereits jetzt gehen die Hochrechnungen über die voraussichtlichen Opfer der Seuche bis an die Millionengrenze. Betroffen sind sowohl die städtische Mittelschicht als auch die Landbevölkerung. Nachdem die Länder rund um den Victoria–See zuerst versuchten, das Ausmaß des Problems zu verheimlichen, werden nun erste Konseuenzen gezogen. Aufklärungskampagnen sollen helfen, doch die Organisation ist extrem schwierig. Aus eigenen Mitteln haben die ausgepowerten Länder der Epedemie kaum etwas entgegenzusetzen - ohne Hilfe von außen ist die Katastrophe programmiert.

„Eine Million Afrikaner werden noch in diesem Jahrzehnt an AIDS sterben“, konstatiert das renommierte Panos–Institut mit Sitz in London. Das einfache Statement, so das Resümee einer Studie ihres internationalen Wissenschaftlerstabs, in dem die Zahl der Opfer zurückhaltend niedrig geschätzt wird, kann „der Komplexibilität, Vielfältigkeit und Dringlichkeit der AIDS–Problematik für diesen Kontinent“ nicht gerecht werden. Einige Länder stehen vor der Katastrophe. „Slim“, wie AIDS dort wegen der häufig damit verbundenen Durchfallserkrankungen genannt wird, bedroht die Menschen des schwarzen Kontinents. „An der Stelle, wo sie die Hauptstraße hätten verlassen müssen, ging sie östlich weiter, ihren Blick stur geradeaus gerichtet. Als ihre Familie sie schließlich wiederfand, war sie fünfzig Kilometer gelaufen, das Baby auf ihrem Arm war hungrig und naß. Sie hatte es noch nicht einmal bemerkt. Sie saß einfach da, starrte ins Leere und drückte ihr Kind fest an sich. Ich denke, sie wußte, daß sie sterben würde und ihr Mann sterben würde und ihr zweites Kind vermutlich auch. Sie hatte keine Hoffnung mehr, daß ihr Leben an irgendeinem Punkt wieder normal werden könnte.“ Die junge Frau, über die eine Kran kenschwester aus Ruanda berichtete, hatte ihr erstes Kind in der Klinik an AIDS sterben sehen und wußte, daß sie von ihrem Mann angesteckt worden war. „Die fehlende Lebensperspektive bei dieser Diagnose ist jedem klar“, sagt auch der Hamburger Tropenmediziner Dr. Hennig Grossmann über seine Patienten in Tansania. „Nur bei den Städtern besteht noch die subjektive Hoffnung, die Trägerschaft des Virus müsse nicht mit AIDS identisch sein. Viele kommen aber bereits in einem lebensbedrohlichen Zustand in die Klinik.“ Nach Rücksprache mit den Angehörigen bliebe dann „nur noch eine Pflege im Sinne der letzten Hilfe“. Mehr kann in den Krankenhäusern nicht mehr für die Menschen getan werden. Oft werden die Kranken von ihren Angehörigen gleich wieder mit nach Hause genommen. „In den ländlichen Gebieten wird man nicht nur in eine Gemeinschaft hineingeboren, man stirbt dort auch.“ 22 sind Kinder Bei einer Repräsentativuntersuchung in Kamerun waren von 1.273 Personen 86 infiziert. In Uganda waren bei Blutuntersuchungen von 370 Blutspendern im Malago Hospital im vergangenen Jahr 11 Prozent AIDS–positiv. In der Geburtsklinik in Kampala waren von 1.011 Frauen im Alter von 16–25 Jahren bereits 14 Prozent Virusträger. Junge Frauen scheinen fast so stark infiziert wie Männer und bringen ebenfalls infizierte Kinder zur Welt. So wird in Sambia jetzt schon jährlich mit 6.000 AIDS–Fällen bei Kindern gerechnet. In Ruanda sind bereits 22 Prozent der AIDS–Kranken Kinder. In Afrika, wo noch gegen Malaria, Lepra und Typhus mit dem Rücken zur Wand gekämpft wird, ist AIDS innerhalb von sechs Jahren zur Epidemie geworden, auch wenn sich die Zahlen der offiziell gemeldeten AIDS–Kran ken noch wenig von der Europas unterscheidet. Im kriegserschütterten Uganda schätzt das Gesundheitsministerium die Infektionsrate offiziell auf zehn Prozent der Bevölkerung, das heißt, 1,4 Millionen Menschen sind bereits mögliche Überträger des HIV–Virus. Die Stadt Kampala schwoll wie keine andere von Menschen an, die auf ihrer Flucht vor den marodierenden Soldaten Idi Amins und seinen Nachfolgeregimes bereits von dem anderen schleichenden Feind begleitet wurden. „Sie schienen ziemlich erstaunt“, berichtet ein Arzt aus der Hauptstadt am Victoriasee, „daß all die Jahre des Krieges, den sie auf irgendeine Weise überlebt hatten, sie nur in eine neue Hölle geführt hatten, in der sie sterben oder sehen müssen, wie andere sterben.“ Hilflos reagierten auch zentralafrikanische Regierungen auf erste alarmierende Berichte mit hektischen Dementis und Zensurmaßnahmen. „Alles, was ich über AIDS weiß, habe ich aus der deutschen und französischen Presse“, beschreibt ein Student aus Zaire in Berlin die anfangs verheerende Informationspolitik seines Landes, „und schreibe es meinen Freunden zu Hause.“ Seine Schwester hatte sich sogar gefürchtet, nach Berlin zu reisen. Da gäbe es doch so viele Homosexuelle, und dort könne sie sich vielleicht anstecken. Kommt AIDS aus Afrika? „Wieder kehrt der Weiße Mann seine Last vor die Tür des Schwarzen“, schreibt die Ghanaen Times. Man fürchtet mit einer Debatte um die mögliche Herkunft des Virus aus Afrika neue Ressentiments gegen die Bewohner des gerade erst dekolonisierten Kontinents. Tatsächlich gibt es nach Aussagen des AIDS–Beauftragten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Jonathan Mann, Epidemiologe aus den USA, bis heute keinen eindeutigen Beweis für eine afrikanische Herkunft des Erregers. Doch die schnelle Ausbreitung des HIV–Virus durch Prostitution, infizierten Spritzen im medizinischen Bereich und häufigem Partnerwechsel vor allem bei der städtischen Mittelschicht hat die Diskutanten längst in den Elfenbeinturm geschickt. Gesundheitspolitiker in Uganda, Kenia, Ghana, Tansania, Sambia und Ruanda haben gehandelt. Aufklärungs– und Kondomkampagnen sollen die Ausbreitung bremsen. Ruanda, wo bereits 18 Prozent der Blutspender der Hauptstadt Kigale Virusträger sind, begann 1985 mit der ersten und bestkoordinierten Kampagne der „Dritten Welt“. Street–Worker wurden eingesetzt, das Radio informierte ausführlich in einer zehnteiligen Sendereihe mit Interviews und Expertenrunden. In Uganda wurden Poster und Informationsmaterial mit dem Slogan „liebe vorsichtig“ gedruckt. Doch das babylonische Sprachengewirr und extreme Organisationsprobleme setzten der Kampagne enge Grenzen. In Kenia werden Prostituierte beraten, auf die Benutzung von Kondomen zu bestehen. Doch das Nächstliegende, „Safer Sex“, ist in Afrika wie anderswo auf der Welt nicht leicht an den Mann zu bringen, wie der Bericht eines Wissenschaftlers nahelegt: „Nachdem ich in einer ländlichen Region zusammen mit einigen afrikanischen Ärzten Bluttests durchgeführt hatte“, so der Europäer völlig konsterniert, „verschwanden die Kollegen abends mit Mädchen aus dem Ort. Sie schliefen mit ihnen, und nur einer benutzte ein Kondom. Am Morgen fragte ich sie, wie sie so ein Risiko eingehen könnten, wo sie doch wüßten, daß gerade hier das Virus stark verbreitet sei. Sie lachten und sagten, man könne sein Leben nicht aufgeben, nur weil man eine Krankheit fürchtet.“ Tatsächlich aber hat AIDS bereits das gesellschaftliche Leben in den Ländern zwischen Kongo und dem Indischen Ozean umgekrempelt. Städterinnen setzen einem neuen Schönheitsideal nacheifernd Speck an, da Schlanke sich dem Verdacht einer AIDS–Infektion aussetzen. Eine Bank in Kenia spendete größere Summen für die AIDS–Forschung, nachdem sie festgestellt hatte, daß ein großer Teil ihrer Angestellten bereits infiziert war. Arbeitsfrei für Beerdigungsfeiern, die sich mancherorts über Tage erstreckten, wird nicht mehr gegeben - es gibt zu viele. „AIDS“, so Dr. Hennig Grossmann, der die ersten AIDS–Patienten in Tansania untersuchte, „ist auch eine finanzielle und logistische Katastrophe. Wenn z.B. in Ruanda jährlich 4,– DM pro Kopf der Bevölkerung für die Gesundheitsversorgung ausgegeben werden, in den USA aber bereits das Testen der Blutkonserven 60 Mio. Dollar gekostet hat, sieht man, daß die Ressourcen lokal nicht aufgebracht werden können. Für die Behandlung von zehn AIDS–Patienten werden dort 450.000 Dollar bereitgestellt, das entspricht einem mehrfachen des Budgets des größten Krankenhauses in Kinshasa.“

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