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Volkszählung: Vernunft boykottiert

■ Experten–Hearing der Grünen im Bundestag bilanziert Gefahren und Rechtsverstöße bei der Volkszählung / Trotz des Repressions–Katalogs herrscht Optimismus: „Das wird ein Flop“

Aus Bonn Vera Gaserow

„Vertrauen zählt - Vernunft boykottiert“ hieß gestern das Motto eines Grünen Experten–Hearings, zu dem prominente Volkszählungskritiker und Vertreter von rund 100 Boykottinitiativen für einen Tag Einzug in den Bundestag hielten. „Zur Schaffung einer Gegenöffentlichkeit zu der Volksverdummung, die zur Zeit betrieben wird“, so die Grüne Abgeordnete Regula Schmidt–Bott, sollten Experten und Initiativen kurz vor der „heißen Phase“ der Volkszählung noch einmal bilanzieren, von welchen offenkundigen Gesetzesbrüchen, möglichen Verfassungsverstößen und Repressionen dieses Mammutunternehmen schon jetzt begleitet ist. Als in weiten Teilen verfassungswidrig und ohne die nötige Normenklarheit für die Bürger bezeichneten die beiden Informatik– Professoren Brunnstein und Steinmüller die Volkszählung und legten dazu einen Katalog von Verfassungsbedenken vor, der von A (wie fehlende Anonymität der Daten) bis Z (wie die fragwürdige Zählerrekrutierung) reichte. Als äußerst problematisch werteten die Experten, daß im Zuge der Volkszählung eine Gezähltendatei bei den Statistischen Ämtern angelegt wird, für die es bisher keinerlei rechtliche Grundlagen und Löschungsvorschriften gibt. Da sie aktueller ist als jedes Melderegister, wird sie mit großer Sicherheit das Interesse der Ordnungsbehörden auf sich ziehen. Aber auch bei genauer rechtlicher Absicherung sei die Volkszählung keine harmlose statistische Erhebung. Die Volkszälung“, so führte Prof. Steinmüller aus, „enthält über jeden 200 höchstexplosive Daten, die erst einmal so harmlos sind, wie eine Gewehrkugel hier auf dem Tisch. Aber sie steht im Zusammenhang mit der Industrialiserung unseres Soziallebens und der Maschinisierung der Kopfarbeit. Und diese Fabriken der Kopfarbeit sind Machtfabriken in den Händen des Staates.“ Neben den Gefahren bei der Volkszählung selber standen vor allem die Methoden im Vordergrund, mit denen zur Zeit die Boykottbewegung mundtot gemacht werden soll. „In einigen Bundesländern“, so konstatierte der ehemalige Grüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele, „gibt es inzwischen ein absolutes Diskussionsverbot, auch für Ver treter der Statistischen Landesämter, obwohl das Bundesverfassungsgerichtsurteil eine umfassende Auseinandersetzung mit den Bürgern verlangt.“ Auf neun Seiten haben die Grünen jetzt weit über einhundert Verbote von Veranstaltungen und Informationsständen, Hausdurchsuchungen und Kriminalisierungsversuchen zusammengetragen. Die Chancen, mit Klagen gegen diese Repressionen vorzugehen, beurteilten die Juristen unter den Experten angesichts der Zusammensetzung der Gerichte eher skeptisch. Dennoch herrschte unter den Anwesenden einhelliger Optimismus: „Die ganze Volkszählung wird ohnehin ein Flop“.

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