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Radikal–Prozeß beginnt mit Räumung

■ Hanauer Arbeiter angeklagt, weil er 24 Hefte einer Radikal–Ausgabe verbreitet haben soll / Zuschauer präsentieren Schriftzug auf der Kleidung / Nach Provokation durch die Polizei läßt Richter den Saal räumen

Aus Frankfurt Heide Platen

Wegen Verbreitung von 24 Ausgaben der Zeitschrift Radikal Nr. 132 muß sich seit gestern der 33jährige Arbeiter Herwig P. vor dem Staatsschutzsenat des Frankfurter Oberlandesgerichts verantworten. Die Oberstaatsanwaltschaft wirft ihm vor, dadurch für die „terroristischen Vereinigungen“ Rote Armee Fraktion (RAF) und „Revolutionäre Zellen“ geworben und sie unterstützt zu haben (§§ 129a, 90a u.a.). Der Prozeß, von einem Wachtmeister auf Nachfrage als „Terroristenprozeß“ angekündigt, begann vor vollem Saal mit einer halben Stunde Verspätung. Die Rechtsanwälte Waltraud Verleih und Thomas Scherzberg monierten die Personenkontrollen der Polizei am Eingang des Gerichtssaales. P. wandte sich in seiner Prozeßerklärung gegen die Verschärfung von Gesetzen zur Zensur der linken Presse in der Bundesrepublik. Zensur würde in den letzten beiden Jahren wieder verstärkt ausgeübt und richte sich vor allem gegen den linken und alternativen Buchhandel. Mehr als 20 Verfahren seien zur Zeit in der Bundesrepublik wegen des Vertriebs der Radikal anhängig. Der Angeklagte hatte das Gericht wissen lassen, daß er 24 der 25 an ihn gesandten Ausgaben der Radikal aus Angst vor Strafverfolgung verbrannt habe. Die Kriminalpolizei hatte im vorigen Sommer seine Wohnung durchsucht, weil er auf einer von über 80 Paketkarten als Empfänger einer Sendung aus Schweden genannt worden war. Die Paketkarten waren vom Bundeskriminalamt im Postamt Bielefeld beschlagnahmt worden. Nach der Prozeßerklärung präsentierten sich Zuschauer in der ersten Reihe des Sitzungssaales mit Schriftzügen auf ihren Hemden: „Freispruch“ vorne, und „sonst Beule“ hinten. Der Vorsitzende Richter Adam ordnete daraufhin die Räumung des Saales an. Die Polizei verzichtete zunächst darauf, nachdem Ruhe in den Saal eingekehrt war, provozierte dann aber ihrerseits und griff Zuschauer an. Der Richter nahm dies zum Anlaß, erneut die Räumung anzuordnen. Rechtsanwältin Waltraud Verleih stellte daraufhin einen Befangenheitsantrag gegen Adam, weil nicht der Schriftzug, sondern der aggressive Aufmarsch der Polizisten Grund für die „Empörung der Zuschauer“ gewesen sei. Für den Rest des gestrigen Vormittags wurde die Verhandlung unter Ausschluß der Öffentlichkeit mit dem Verlesen seitenlanger Auszüge aus der inkrimierten Radikal forgesetzt. Der Prozeß wird morgen fortgesetzt (9 Uhr, Saal 146, Gebäude A).

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