Explosion wirft Licht auf Genuas Unterwelt

■ Italienisches Zivilschutzministerium zeigt sich gegenüber der Gefährdung der Bevölkerung durch Deponien konziliant / Sicherheitsbestimmungen wurden außer Kraft gesetzt / Niemand weiß genau, was in den Tunneln von Genua lagert

Aus Genua Werner Raith

In Italien soll heute landesweit ein 15minütiger Generalstreik wegen der Explosion von drei Tanks in Genua stattfinden. Bei der Explosion von rund 4.800 Tonnen Flüssiggas Methanol waren vier Chemiearbeiter in Genua ums Leben gekommen. Ein Arbeiter erlitt schwere Verbrennungen, sechs Feuerwehrleute Kohlenwasserstoff–Vergiftungen. 23 Sonderzügen der Feuerwehr gelang es am Samstag morgen, das Feuer im Tanklager der Firma Attilio Carmagnani zu löschen. Nur durch Einsatz von Lösch–Schaum aus ganz Norditalien konnte das Übergreifen des Brandes auf die weiteren acht Tanks des Unternehmens im dichtbesiedelten Wohnviertel Ponente (200.000 Einwohner) verhindert werden. 60 Familien mußten aber ihre Wohnungen vorübergehend verlassen. Wegen der großen Hitze konnten die vier Toten noch nicht aus den unterirdischen Zugängen der Tanks geborgen werden. „Die Stadt zittert, weil ganze Viertel von Magazinen und Giftküchen unterwandert sind“, wie ein Flugblatt im Pegli, dem Stadtviertel der Explosion, erklärt. Tausende unterirdischer Räume ziehen sich „wie Kaninchengänge“ dahin, „keiner weiß, was darin gelagert ist“, jederzeit, so Franco Satori von der Gewerkschaft CGIL, „kann wieder eine Bombe dieser Art hochgehen.“ Seine Organisation hat für Montag einen Generalstreik ausgerufen - was freilich die Menschen im Viertel als „reichlich spät“ begreifen, wie der Bruder eines der Opfer losschimpft, „denn seit Jahren haben wir diese Zustände denunziert, ohne Erfolg, auch bei den Gewerkschaften. Die aber hat außer einigen belanglosen Reden nichts dagegen unternommen.“ Die Hauptschuld geben die Genueser freilich ihrem Zivilschutzministerium - das auch nichts Eiligeres zu tun hatte, als seine völlige Inkompetenz zu beweisen: „Bereits vor vier Wochen“, rühmte sich nach der Explosion ein Sprecher des Hauses, „habe man dem Eigner des nun hochgegangenen Depots eine Anzeige ins Haus geschickt, wegen Verstoßes gegen die Sicherheitsnormen, wegen illegalen Betriebs von Deponien gefährlicher Stoffe usw.“ Doch dabei war es geblieben - eine Anzeige, mehr nicht. „Nicht einmal der Versuch, die Anlagen stillzulegen“, entsetzt sich heute ein Stadtteilsprecher aus Multedo, der Zone um den Ort des „angekündigten Todes“ (wie Sprühparolen in Anlehnung an eine der eben in Cannes gezeigten Filme das Viertel definieren). Bürgermeister Cesare Campart, der eiligst seine Stadtväter zusammengetrommelt hat, sucht sich mit allerlei Dokumenten herauszureden, die er vorsorglich gleich zu einer Versammlung des Bezirkskomitees für die Sicherheit mitgebracht hat. „Unglaublich“, schreit er ins Mikrophon, „die Feuerwehr hat die Durchführung der vom Industrieministerium auferlegten Sicherheitsbestimmungen vor zwei Monaten bis 1990 ausgesetzt.“ Doch die Leute hier brüllen dagegen: „Die Feuerwehr gehört doch dir, du Trottel, du bist doch der Bürgermeister, oder?“ So ist es; und da kann auch der eilig herbeigerufene Abteilungsleiter im Zivilschutzministerium nichts zur Entlastung des Bürgermeisters beitragen.