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Südkorea: „Unter der Folter gestanden alle“

■ Die Mütter von politischen Gefangenen berichten: Quälereien aller Art sind in den Gefängnissen Routinesache / Im Gerichtssaal sitzen die Folterer als Zuschauer und die Angehörigen finden keine Plätze / Studenten durch schallisolierte Dunkelhaft in den Wahnsinn getrieben

Aus Seoul Jürgen Kremb

Die Frau kann nur schwer ihre Fassung bewahren. Immer wieder greift sie zum Taschentuch, um die Tränen abzuwischen. „Was soll sich geändert haben, seit Park Chong–Chol im letzten Jahr gefoltert wurde“, fragt sie anklagend. „Nichts hat sich geändert. Mein Sohn, der gerade mit 18 weiteren Studenten und Arbeitern vor Gericht steht, wurde 38 Tage ohne Unterlaß gequält.“ Die Mutter des südkoreanischen Arbeiter–Studenten Lee Min–Yong, sitzt verzweifelt in dem Seouler Büro für Menschenrechtsfragen der protestantischen Kirche. Zusammen mit anderen Familienmitgliedern von Südkoreas politischen Gefangenen ist sie hierher gekommen, um Rechtsbeistand zu erhalten und darüber zu diskutieren, wie die Haftbedingungen von einigen der über 2.000 politisch Inhaftierten im Gastgeberland für die nächsten olympischen Spiele verbessert werden können. Über den Köpfen der Frauen hängt in blau–schwarz ein riesiges Poster. Ein furchtbar dreinschauendes Wesen, halb Mensch, halb Krake, dabei aber ausstaffiert wie die lokale Polizei, drischt mit einem Knüppel auf einen winzigen Menschen in Häftlingskleidung ein. „Folter ist kein Olympiasport“, steht darunter. Daneben hängen zwei Bilder von jungen Männern mit schwarzem Trauerflor. Eines zeigt Park Chong– Chol, den Studenten, der im letzten Herbst bei einer Foltersitzung in Seouls Polizei–Verliesen „erstickte“, das andere Bild zeigt Byo Jung–Boo (24), der sich Anfang März im Stadtzentrum von Seoul mit Benzin üergoß und aus Protest über die Politik der Regierung öffentlich selbstverbrannte. „Die Verantwortlichen haben angekündigt, es werde keine nächtlichen Verhöre mehr geben und ein Ausschuß kümmere sich um alle Foltervorwürfe“, klagt ein Vertreter der Kirche. „Doch grundsätzlich hat sich an der Praxis nichts geändert. Die Menschenrechtsverletzungen werden durch das Komitee jetzt nur staatlich legalisiert.“ Der Ausschuß ist vornehmlich mit staatstreuen Beamten und Vertretern der Regierung besetzt. Fabrizierte Anklagen Die Mutter von Lee Min–Yong (25) weiß das nur zu gut. Ihr Sohn steht dieser Tage in Seoul wegen der angeblichen Gründung der kommunistisch–orientierten antiimperialistischen Partei mit 18 weiteren jungen Männern und Frauen vor Gericht. Im streng antikommunistischen Südkorea wird dies als Vorstoß gegen das „Nationale Sicherheitsgesetz“ mit der Todesstrafe geahndet. Lee Min–Yong war bereits vor Jahren aus Koreas Elite–Uni, der Seoul National University (SNU), wegen seiner politischen Aktivitäten als Studentenführer ausgeschlossen worden. Der ehemalige Physikstudent arbeitete danach in verschiedenen Fabriken der Hauptstadt und versuchte dort, eine unabhängige Gewerkschaftsbewegung aufzuziehen. „Die Anklage ist künstlich fabriziert und ohne Grundlage“, sagte Lees Mutter. Die meisten der 19 Inhaftierten hätten sich im Büro des Staatsanwaltes zum erstenmal gesehen. Den Namen der Partei, die sie angeblich gegründet haben sollten, hätten sie nie zuvor gehört. „Doch nach 38 Tagen schwerster Folter gestanden sie alle.“ Chuan Wan–Hua, einer der Angeklagten im Prozeß gegen die vermeintlichen Gründer der antiimperialistischen Partei, ist nach Aussage von Menschenrechtsgruppen in Seoul durch die Torturen fast erblindet. „Er braucht dringend eine Augenoperation. Sonst wird er nie mehr sehen können“, alarmierte ein Arzt die Gruppe. Doch letzte Woche unterbrach der vorsitzende Richter die Verhandlung für sechs Tage, um Chuan untersuchen zu lassen. „Weiter wird auch nichts passie ren“, meinte ein Aktivist, „denn der Richter möchte den unrühmlichen Fall so schnell wie möglich hinter sich bringen.“ Von fairer Justiz kann ohnehin keine Rede sein. Als sich die Angeklagten beim Richter beschwerten, die Geständnisse seien nur unter Folter zustande gekommen, drohte dieser im Beisein der Peiniger: „Wenn ihr darauf besteht, dann schicke ich euch eben noch einmal zu ein paar Verhörern.“ Während die Angehörigen der 19 Angeklagten nur schwer einen Platz im Zuschauerraum fanden und Freunde sowie Sympathisanten ausgeschlossen waren, konnten die folternden Beamten schon vorher alle Sitzplätze belegen. Erst mehrere Demos der Familienmitglieder und Selbstmordversuche der Angeklagten, brachten den Richter dazu, die Folterer aus dem Saal zu verbannen. Psycho–Terror Hoffnung hat auch die Mutter von Kim Min–Sog (22). Ihr Sohn war bereits 1985 als Studentenführer der SNU und gewählter Vorsitzender des südkoreanischen Studentenverbandes zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Insgesamt 75 Hochschüler aus dem ganzen Land hatten damals das amerikanische Kulturzentrum in Seoul tagelang besetzt gehalten. Obwohl Kim nicht dabei war, wurde er als angeblicher Organisator von der südkoreanischen Justiz dafür zur Verantwortung gezogen. „Obwohl die Regierung betont, die politischen Gefangenen sind besser untergebracht als normale Kriminelle“, sagt Kims Mutter, „ist der Knast in Südkorea dazu angelegt, die Psyche unserer Söhne zu zerstören.“ Die meisten der Politischen sitzen in Einzelzellen, die so klein sind, daß man noch nicht mal die Arme ausstrecken kann. Bücher erhalten die einstigen Hochschulstudenten nur nach einer strengen Vorauswahl und zum täglichen halbstündigen Hofgang werden die Dissidenten nur einzeln geführt. Als ihr Sohn daraufhin vor kurzem einen Gefangenen–Protest organisierte, wurden die Studenten einzeln in ihren Zellen zusammengeschlagen“, erzählt die Frau. „Wen sie als Anführer ausmachen, der kommt bis zu 30 Tage gefesselt in eine enge, dunkle Kellerzelle.“ Seit kurzem gibt es in einigen Anstalten eine neue Schweinerei, berichten Menschenrechtsgruppen. „Gefangene kommen in einen zellenartigen Kasten aus Metall.“ In dem Käfig gibt es keine Fenster, dafür Überwachung durch Monitor. In der Wand sind Löcher eingelassen, dahinter liegt nochmals ein Belag aus Acryl. „Von draußen dringt kein Laut“, erzählt eine der Mütter der Gefangenen. „Fangen sie an, mit sich selbst zu reden oder zu schreien, so entsteht ein Echo.“ Ärzte haben den Angehörigen mitgeteilt, wenn ihre Kinder in dieser Zelle sind, besteht zu 70 bis 80 Prozent die Gefahr, daß sie verrückt werden.

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