: Baut neue Quartiere!
■ Ergänzung und Widerspruch zu Antje Vollmers „Boykottiert das Hauptquartier“ der Grünen
Metertief im Sumpf steckend mieft die Partei der Grünen, in Reih und Glied verfilzt, vor sich hin, so Antje Vollmer. Und sie hat natürlich vollkommen recht. Kein Grund zur Häme oder zur Schadenfreude für die Linken außerhalb von Parlamenten und Partei. Zum einen deshalb, weil der Zustand der Partei immer auch mitbedingt ist durch die Zustände, die in den Bewegungen herrschen. Zum anderen ziehen die Parteibonzen möglicherweise die gesamte grün–alternative Linke mit in den Sumpf und in die innergrünen Schützengräben. Einigkeit besteht also in der Zustandsbeschreibung. Doch für wie wahrscheinlich muß mensch es eigentlich halten, daß die Partei sich selbst am eigenen Schopf aus dem Sumpf zieht, anstatt alle anderen mit hinein? Um wieviel erfolgversprechender ist ein Ansatz, der den Aufbruch vor allem außerhalb der Partei sucht? Um einiges, finde ich. Der Partei geht es schlecht, die Menschen in ihr leiden über die Maßen. Mensch sollte ihnen die Hand reichen gegen den Sog des Sumpfes. Aber von außen. Und im Widerspruch. Über den Ort der Politik, über die Frage, wo wir unseren politischen Schwerpunkt haben sollten, darüber streitet Antje Vollmer nicht. Genau darüber aber muß der Streit - jetzt wo die Grünen in einer offensichtlichen parlamentarischen Sackgasse sind - neu begonnen werden. Doch der Reihe nach: Betroffenheit als Besoffenheit Unter den von Antje Vollmer genannten Verarbeitungsmodellen für ins Stocken geratene politische Apparate fehlt eines. Wie die neuen sozialen Bewegungen immer, so sind die Grünen immer noch sehr gut in der Lage, sich mit einer Methode über objektive Schwierigkeiten und Krisen hinwegzuhelfen, die ich als Rausch–und Nebel– Methode bezeichnen würde: Die Friedensbewegung hat sich förmlich besoffen gemacht mit ihrer Fünf–vor– zwölf–Hysterie, um sich über die Schwierigkeiten hinwegzutäuschen, die auf der Seite der Inhalte entstehen, wenn zu schnelle Verbreiterung nötig ist. Die alte–neue Anti–AKW–Bewegung berauschte sich intensiv an dem Bild von Oberpfälzerinnen, die Sand in Cola–Dosen gefüllt haben - und sie vergaß dabei monatelang, daß die Verbindung zur geschmähten Becquerelbewegung erst noch zu leisten gewesen wäre. Die Grünen haben die Kunst des Sich–Berauschens und die Fertigkeit, die Sicht auf die Realität zu verlieren, die gar zu grausig scheint, bewahrt und weiterentwickelt. Solcherart Verdrängung schafft einen Freiraum des süßen Vergessens und nach einiger Zeit hat dann irgendjemand anders - meistens der politische Gegner - eine andere Wirklichkeit geschaffen, der mensch sich dann erneut solange zuwenden kann, bis der Schmerz einen wiederum zur kollektiven Flasche greifen läßt. Die Bewegungen machen das hauptsächlich mit dem Themenbornierungsschnaps und mit dem Wir–sind–die–armen–Opfer–einer–geheimnisvollen–Dynamik– Fusel. Die Grünen befrieden den uns alle bedrängenden und zerreißenden Widerspruch zwischen der Notwendigkeit und der gegenwärtigen Unmöglichkeit von grundlegenden Reformen in diesem Land, indem sie dem objektiven Dilemma die Form des Streits von Flügeln geben. Derlei Flügelschlagen läßt zwar auch die Grünen nicht fliegen, trägt aber dazu bei, sich über die großen Probleme zu erheben, um sich an den grünen kleinen aufs heftigste zu ergötzen. Darum auch leiden die grünen Menschen weniger an ihrem Grabenkampf - auch wenn sie sich dabei unaufhörlich wundreiben - als Menschen, die sich eine solche Heimstatt nicht leisten können oder wollen. Die Angst davor, sich ungeschützt, nüchtern und mit wenigen Nebelschwaden der Wirklichkeit auszusetzen, treibt so viele dazu, sich hauptsächlich mit dem Theater der Wirklichkeit und dem wirklichen Theater - dem Parlament - zu beschäftigen. Wer also die Grünen und die Linken aus den vergleichsweise bequemen Gräben holen will, muß für mehr tätige Klarsicht sorgen - tätig am besten außerhalb des zur Zeit erfolgreichsten linken Verdrängungsapparates - den Grünen. Alles neu macht der Mai An Klarheit fehlt es bei den grünen Abgeordneten an folgendem Punkt: Die inhaltliche Seite der zu entdeckenden „Mitte“ der Grünen–Partei fehlt vollkommen: „Die Offenheit gerade für dieses Neue ist auch ihre (der Partei) eigentliche und einzige Existenzberechtigung.“ Die einzige Existenzberechtigung der Grünen ist ihr Beitrag zur Rettung des Überlebens und zur Erringung des guten Lebens. Der Begriff des Neuen verschleiert die Schwierigkeit und Notwendigkeit, mit teilweise sehr alten Erkenntnissen, Menschen und Politikformen etwas Neues entwickeln zu müssen. Das Neue als einziges Kriterium sagt uns nicht, was zu bewahren ist und was nicht: Soll denn die Linke ihre Kritik am staatlichen Gewaltmonopol beenden oder praktisch konsequenzlos lassen, sollen wir für die NATO eintreten, sollen wir die Abtreibung zu einem Problem des positiven Rechts erklären, sollen wir die Prinzipien der kapitalistischen Produktion als solche akzeptieren usw., usw.? Solange aber solche für die politische Kultur der Inhalte wichtigen Fragen nicht oder mit ja beantwortet werden, gerät die Rede von dem Neuen an sich notwendiger– und berechtigterweise ins Zwielicht. Während Antje nämlich völlig richtig den miserablen Zustand der Partei konstatierend zum Aufbruch bläst, füllen andere Partei– und Gesinnungsgenossen das Signal mit Inhalten, die es verantwortungsbewußten Linken schwer machen, die Siganale zu hören und „at its best zu interpretieren“. Lukas Beckmanns Vorstoß scheint darauf hinauszulaufen, die NATO– und die Abtreibungsfrage zugunsten einer neuen Bündnispolitik notzuschlachten. Thomas Schmid fährt immer und überall Frontalangriffe gegen linke Bastionen, aber nicht, um aus ihnen blühende Gärten zu machen, sondern um sie zu schleifen. Und Klaus Hartung sieht die Hauptgefahr für die Grünen im Einfluß der Linksliberalen und überhaupt nicht mehr in der durch die strukturell gewalttätige bürgerliche Öffentlichkeit erzwungenen und erstreichelten Sozialdemokratisierung. In einem solchen Klima ist es mindestens problematisch, zum allgemein–abstrakten Aufbruch zu blasen, ohne an der Heimstatt linker Identitäten weiterzuarbeiten. „Aber das, was nicht wertgeschätzt wird, verelendet oder stirbt schnell wie alles Unbetreute in der Welt“, schreibt Antje Vollmer. Eben. Solange diejenigen die über linkssektiererischen Dogmatismus hinaus aber nicht in die bundesrepublikanische Reputierlichkeit der wahren Demokraten hinein wollen, nicht mit ihren an der linken Selbstkritik geschärften Präzisionsinstrumenten daran mitarbeiten, linke Kultur und grün–alternative Inhalte auch zu erhalten, zu verbessern und zu verteidigen, wird keine Bewegung in die Bewegung kommen. Der Weg zu einem neuen Verhältnis von Linksradikalismus und Reformismus wird nicht grabenkämpferisch und nicht arbeitsteilig zurückzulegen sein, indem die einen die Fahne hochhalten und die anderen mit Säge und Streichholz herumlaufen. Wenn weiter so wenige in der Lage sind, unabhängiger zu agieren, macht es viel Sinn, in den linken Gräben liegenzubleiben, anstatt herauszugehen, um die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen. Spielbein in Gips Die gegenwärtige Krise der Grünen ist eine strategische - weil sie sich, für alle offensichtlich, auf der rot–grünen Parlamentsschiene festgefahren haben. Allein mit parlamentarischen Mitteln und im konventionellen Parteienstreit wird sich da auch nichts ändern. Darauf reagieren verschiedene Grüne verschieden. Die Realos sagen: Weiter so koalitionär wie bisher, nur doller! Sie wissen, daß die Grünen gewissermaßen durch die SPD hindurch gewählt werden und deswegen möglichst viele potentielle SPD–WählerInnen möglichst wenig Angst vor den Grünen haben müssen. Sie setzen daher auf noch mehr Anpassung. Die Neuerer und Ökoliberalen wollen den Aufbruch ins wertkonservative Lager. Ein Gedanke, der ja nicht neu ist und ursprünglich fundamentaloppositionell war. Sie müssen die grün–alternative politische Kultur weitgehend von den linken Elementen reinigen und damit ein gutes Stück Widerspenstigkeit und Opposition ausverkaufen, um relativ reibungsfrei auf der Basis der gegebenen Machtverhältnisse ein bißchen mehr Ökologie exekutieren zu können. Die ÖkosozialistInnen und Fundis setzen ebenso stoisch wie verbal auf die Bewegungen. Praktisch aber findet sich kaum eine oder einer, die den grünen Verdrängungsapparat verlassen, um sich in den neuen sozialen Bewegungsresten um Stabilisierung, Neuerung und Veränderung zu kümmern. Unterm Strich und praktisch setzen sie alle weiter auf die Parlaments– und Parteiebene - in einer Lage, in der nur politische Gesteinsverschiebung, wie Glotz das genannt hat, und nicht das immer findigere Jonglieren mit den immer gleichen Bällen helfen kann. Notwendig wäre ein Aufbruch der grün–alternativen Linken, um die Schwächen der Bewegungen, der Grünen und des Linkssektierertums qualitativ zu verringern. Der Ort einer solchen Veränderung wird nicht die Partei der Grünen sein. Sie werden aus den Pianos der Bewegung, den Kontrabässen der Linksradikalen, aus den Pauken der Bauern und den Geigen der Christen und den Stimmen der Frauen keine Sinfonie machen. Sie werden auch nicht dirigieren (Niemand wird dirigieren). Sie werden nur mit musizieren und komponieren, wenn die grün–alternative Linke aus dem Chaos endlich ihre Unvollendete vollendet. „Nichts ist unüberwindlich in der Welt / wenn ihr es wagt, die Höhen zu erstürmen“, außer es denken bei Höhen zu viele nur noch an das Hohe Haus in Bonn.
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