: Ausbrecherkönig im Hungerstreik
■ In der Schweiz kämpft Walter Stürm, bekannt durch originelle Ein– und Ausbrüche, gegen Isolationshaft / Späte Rache der Justiz an dem respektlosen Gefangenen? / Nach 77 Tagen Hungerstreik ist der Häftling stark geschwächt / Parteiinterner Druck auf die sozialdemokratische Justizministerin
Aus Zürich Thomas Scheuer
„Es geht ihm gut“, berichtet Rechtsanwältin Barbara Hug knapp, aber ihr Klient sei mittlerweile „sehr schwach“. Frau Hug ist soeben aus der kantonalen Strafanstalt Regensdorf in ihre Kanzlei in Zürich zurückgekehrt. In der Sicherheitsabteilung des Regensdorfer Knasts hat sie Walter Stürm besucht, der sich seit dem 4. März im Hungerstreik befindet. Seine Forderungen: Verlegung in den Normalvollzug und Abschaffung der Sicherheitsabteilung. Schon der junge Walter Stürm muckte gegen Autoritäten geradezu instinktiv auf: Mit den Lehrern gab es ständig Stunk, und seine militärische Karriere führte bereits am dritten Tag der Rekrutenschule (der Grundausbildung der Armee) in die Arrestzelle. Die Besitzverhältnisse müssen ihm besonders auf den Geist gegangen sein. Seine kriminellen Energien investierte er zielgerichtet und ausnahmslos in Eigentumsdelikte. Sie brachten ihn als 22jährigen erstmals ins Gefängnis: Auto– Fan Stürm hatte sich in einen Autoschieberring eingeklinkt, um sein Formel–1–Hobby finanzieren zu können. Seine Diebeszüge trafen jedoch immer nur Reiche; nie wendete er Gewalt gegen Menschen an, bei einem seiner Ausbrüche wurde er gleich wieder gefaßt, weil er stehen geblieben war, um einem Wärter, den ein Mitflüchtling mit dem Messer verletzt hatte, die Hand zu verbinden. Ein guter Teil der Sympathien, die dem „Ausbrecherkönig der Schweiz“ entgegengebracht werden, dürfte auf das Konto seines lässigen Humors gehen: Bei einer seiner häufigen Fluchten ließ er den vernehmenden Polizisten eingeschlossen in dessen eigenem Büro zurück; ein Gefängnis verließ er mit einem selbstgefertigten Passierschein. Ein anderes Mal verkroch er sich vor den verfolgenden Polizisten in einer Hundehütte. Wütend kläffte der bewohnende Hund die suchenden Bullen–Köter an. Auch Stil bewies der mittlerweile notorische Flüchtling, war stets bestens gekleidet, schickte Gerichtsreportern anerkennend rote Rosen und dem Gefängnispfarrer wenigstens ein Postkärtchen aus dem sonnigen Süden. So wie der ihm eigene Witz (als er 1980, einen Tag vor Ostern ausbüchste, hinterließ er eine Mitteilung: „Bin Ostereier suchen gegangen“) ihm oft schmunzelnde Anerkennung einbrachte (“Hopp, Stürmi, Hopp“ sprühten 1980, im Hoch–Jahr der Zürcher Jugendbewegung, Unbekannte aufmun ternd auf das WC–Häuschen gegenüber dem Bezirksgericht), so mobilisierte er wohl auch die Haßgefühle der gelackmeierten Justizhengste. In Gegnern, die schießen und morden, mögen sie Verhaltens–Affinitäten entdecken, auf die „angemessen“ zu reagieren ihnen aufgrund ihrer Verhaltensmuster leichter fällt, ein Gesetzesbrecher mit Witz und Humor aber machte sie hilflos - und deshalb wohl haßerfüllt. Isolation gegen Rebellen Zur Zeit sitzt Stürm den Rest einer achteinhalbjährigen Freiheitsstrafe ab, zu der er 1972 wegen bandenmäßigen Raubes von 6.000 Fränkli verurteilt wurde. Seit dem ersten Tag seiner letzten Wiedereinlieferung in Regensdorf sitzt Walter Stürm dort in der sogenannten Sicherheitsabtei lung. Zwar sind dort die Zellen nicht total geräuschisoliert und nicht optisch überwacht, aber sonst sehr wohl mit einem Hochsicherheitstrakt vergleichbar, meint Rechtsanwältin Barbara Hug. „Bis auf weiteres“ heißt es in der Verfügung der Anstaltsleitung. Flucht und Fluchtversuche sind nach schweizerischem Recht nicht strafbar, sondern können nur disziplinarisch geahndet werden. Das Regensdorfer Knast–Reglement sieht als Strafe für Flucht ein Maximum von 20 Tagen verschärftem Arrest vor. Der vorgeschriebene Vollzugsplan, so die Gefängnisdirektion, könne für Herrn Stürm nicht erstellt werden, da dieser selbst nicht mitmache, beispielsweise die Arbeit verweigere. Im übrigen wird auf die hohe Fluchtgefährlichkeit Stürms verwiesen. In Briefen widerspricht Stürm dieser Version: Er verweigere keineswegs die Arbeit, bestehe aber auf den üblichen Bedingungen: Arbeit gemeinsam mit anderen Gefangenen. Demgegenüber war Stürm mit nur einem einzelnen Mitgefangenen, der zudem kaum deutsch sprach, in der Arbeitszelle eingesetzt. Als dieser am dritten Tag versetzt wurde, zog Stürm seine eigene Zelle dem Abpacken von Tennisbällen in der menschenleeren Arbeitszelle vor. „Arbeitsverweigerung“ hatte daraufhin die Knastbürokratie notiert. Nun fordert Walter Stürm nicht nur individuell seine eigene Verlegung in den Normalvollzug, sondern gleich ganz die Abschaffung der Sicherheitsabteilung. Sein politisches Engagement entwickelte sich in den siebziger Jahren, als zumindest in interessierten Kreisen der Schweiz die Reform des Strafvollzugs in die Diskussion geriet und die „Aktion Strafvollzug“ (kurz: „ASTRA“) ihre Hochzeit hatte. In jener Zeit gerade im offenen Vollzug, knüpfte Stürm draußen Kontakte mit ASTRA–Leuten und trug deren Gedanken nach innen. Eines Tages hing an seiner Zellentür ein Zettel: „Rechtsberatung“. Der Kleinkrieg mit der Gefängnisbürokratie war eröffnet. Aus spontanem Aufmucken entwickelte sich politisch–strategischer Widerstand. Stürm begehrte nicht mehr gegen einzelne Schikanen auf, sondern gegen das Haftsystem als solches. Letzte Konsequenz dieses Weges ist sein derzeitiger Hungerstreik. Der zeigt nach mehr als zwei Monaten erste Wirkungen. In einem Brief vom 8. Mai schreibt Walter Stürm, er fühle sich zwar psychisch okay, habe aber Stimmungsschwankungen nicht mehr im Griff. Mittlerweile hat er, der sich früher in der Zelle mit 100 Liegestützen fit hielt, selbst seine gewohnten Gymnastikübungen aufgegeben. Unterstützung von außen Auf der juristischen Ebene, so erläutert Anwältin Barbara Hug, sei jetzt „nichts mehr zu machen“, um die „rechtswidrige Isolation“ zu beenden. Es sei „ein rein politisches Kräfteverhältnis, das da abläuft“. Auf der Gegenseite sitzt Frau Hedi Lang, die kantonale Justizdirektorin. Bei den kürzlichen Regierungswahlen im Kanton Zürich verbuchte die Sozialdemokratin von allen wiedergewählten Regierungsmitgliedern das mit Abstand beste Wahlergebnis. Inzwischen formiert sich öffentlicher Protest gegen die menschenunwürdige Isolations–Haft, der bisher allerdings nur knapp über die Ränder der einschlägigen Szene zu reichen scheint. Künstler und Schriftsteller haben sich in Briefen an Hedi Lang für Walter Stürm eingesetzt. Kommende Woche will Daniel Fischer, Abgeordneter der linken POCH, einen Vorstoß im Kantonsparlament starten. Walter Stürms Freunde setzen derzeit vor allem auf parteiinternen Druck der Sozialdemokraten auf ihre Justizdirektorin. Forciert wurde die SP–interne Diskussion, als kürzlich Aktivisten das SP–Zentralsekretariat in Bern besetzten. Ein akzeptabler Kompromiß wäre für Walter Stürm seine Verlegung in ein anderes Gefängnis. Ansonsten scheint er entschlossen, seinen Hungerstreik fortzusetzen. Für den Fall seiner Bewußtlosigkeit hat er sich bereits jede künstliche Ernährung verbeten. „Der zieht das sonst durch“, urteilt Barbara Hug und hofft, „daß Hedi Lang und ihre Chefbeamten doch noch zur Vernunft kommen.
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