: 15 Jahre Knast für eine Symbolfigur
■ Nach zwei Jahren Mammutprozeß das Urteil gegen Otelo de Carvalho / Otelo soll Kopf der bewaffneten FP–25 gewesen sein / Beweislage war mehr als dürftig / „Kronzeugen“ waren ausschlaggebend für das Urteil
Von Armin Golzem
Frankfurt (taz) - Die Symbolfigur der portugiesischen Nelkenrevolution, Otelo Saraiva de Carvalho, ist am Mittwoch von einem Gericht in Lissabon zu 15 Jahren Knast verurteilt worden. Carvalho soll einer der führenden Köpfe der bewaffneten Organisation „Volkskräfte des 25. April“ FP–25 gewesen sein. 16 seiner Mitangeklagten wurden freigesprochen, die übrigen erhielten Freiheitsstrafen. Otelo und seine zuletzt noch 63 Mitangeklagten waren fast drei Jahre in Untersuchungshaft. Seit Oktober 1985 haben sie an weit über 200 Verhandlungstagen im Panzerglaskäfig des nach Stammheimer Vorbild eigens erstellten Gerichtsgebäudes gesessen. Einziger Anklagepunkt: die Gründung bzw. Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. (Der Artikel 288 des portugiesischen Strafgesetzbuches ist praktisch wortidentisch mit unserem §129a StGB und wurde 1982 eingefügt.) Anlaß für die Massenverhaftung im Juni 1984 waren eine Reihe von Anschlägen der „Volkskräfte des 25. April“ (FP–25), gegen die seit ihrem Auftauchen 1980 die Polizei keinen einzigen Stich gekriegt hatte. Das „Krisenkabinett“ unter dem sozialistischen Ministerpräsidenten Mario Soares brauchte dringend einen Fahndungserfolg. Dem Portugiesischen Parlament lag damals der Entwurf für die neuen Sicherheitsgesetze vor. Er wurde als „Waisenkind“ bezeichnet, weil keiner der Minister die Verantwortung für den Entwurf übernehmen wollte. Die vorgeschlagenen Reformen gingen selbst über die Wunschliste deutscher Sicherheitsbehörden hinaus und sollen das Ergebnis der Reise des damaligen Innenministers in die USA gewesen sein. Die Massenverhaltung sollte demonstrieren, wie notwendig die Sicherheitsgesetze waren. Die Sache schlug fehl - die Sicherheitsgesetze sind bis heute nicht verabschiedet worden. Dritter und letztlich wichtigster Zweck der Verhaftung Otelos war die Diskreditierung der revolutionären Ideen von 1974. Zwar waren Otelo, der bei den Parlamentswahlen von 1976 noch 18 Prozent der Stimmen bekommen hatte, und seine Partei, die FUP (Volkseinheitsfront), längst zur politischen Bedeutungslosigkeit herabgesunken. Aber der politischen Rechten (inklusive den entsprechenden Militärs) steckte ebenso wie den Leuten um Soares die Zeit nach dem 15. April 1974 immer noch in den Knochen. Die Verhaftung der politischen Symbolfigur für Basisdemokratie, Land– und Betriebsbesetzungen, politischen Streik und Austritt aus der NATO und ihre Verknüpfung mit politischem Mord und Terrorismus war ein bedeutsamer Schritt hin zur Europäisierung Portugals. Die Eröffnungsschrift des Prozesses, die der Vorsitzende Richter quasi als Dokument seiner Erwartungen an den Ausgang des Verfahrens erstellte, enthält ein komplexes konspiratives Konstrukt, das von der politischen Polizei zusammengebraut worden war. Die bewaffnet kämpfenden „Volkskräfte des 25. April“, die sich zu Banküberfällen, Anschlägen auf Nato–Stützpunkte und Er schießungen von Industriellen bekannt haben, sollen im Rahmen des sogenannten „Umfassenden Projekts“ (Proyecto Global) die eigentliche politische Organisation gewesen sein, mit Otelo und dem „Politisch–militärischen Direktorium“ an der Spitze. Otelos Partei, die basisdemokratische FUP, die „Vereinigte Organisation der Arbeiter“(OUT), die „Politische Organisation der Massen“(OPM) sowie die „Bewaffnete Zivilstruktur“(ECA) sollen sämtlich nichts anderes als Unterabteilungen der FP–25 gewesen sein. Die genannten Organisationen gibt es allerdings schon seit 1977, als sie in aller Öffentlichkeit von Otelo und seinen politischen Freunden gegründet wurden. Die FP–25 tauchen hingegen erst 1980 auf. Otelo hat denn auch immer seine Zugehörigkeit zur FP–25 bestritten. Die Umstände der Verhaftungen und die Beweislage gegen die Angeklagten waren von Anfang an zwielichtig. So wurde Ministerpräsident Soares im Juni 1984 eine Liste von 25 zu Verhaftenden vorgelegt. Er sah darin den Namen Dias Lourenco und dachte, das sei der Direktor der kommunistischen Tageszeitung „Avante!“. Für seinen Kommunistenhaß bekannt, ordnete Soares die Verhaftung an. Allerdings ist Dias Lourenco, der nun auch vor Gericht stand, nur ein kleiner Automechaniker und politisch unter die Freunde Otelos zu rechnen. Vielleicht wäre ja aus dem ganzen monströsen Terroristenprozeß gegen Otelo und die 72 anderen nichts geworden, wenn Soares den Automechaniker nicht für den Zeitungsdirektor gehalten hätte. Bis zum Schluß gab es keine soliden Beweise für die Einheit zwischen FP–25 und den Organisationen Otelos. Aber die „arenpentidi“, die Kronzeugen, die nach italienischem Muster eingeführt worden waren, halfen, das magere Beweismaterial aufzupeppen. Und auf ihre Aussagen sind die Urteile im Prozeß nun wohl zurückzuführen. Otelo hatte am Vorabend der Urteilsverkündung seine Koffer in der Militärfestung Caxias schon gepackt. Für die Freunde draußen hatte er noch im Mai 1987, fast drei Jahre nach seiner Verhaftung, folgende Botschaft: „Sag ihnen, daß Portugal eine Demokratie ist und daß ich freigesprochen werde, weil bewiesen ist, daß ich unschuldig bin.“
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