: Die Bewegung und der Paragraph
■ Lästige Pflicht oder Engagement, das auch Spaß macht? Gefragt sind neue Formen, denn die Argumente zum § 218 sind schon alle gefallen / Ein Gespräch mit Melitta Walter, Ex–Präsidentin von Pro Familia
taz: Seit Jahren gab es nicht mehr soviele Veranstaltungen zum 218 wie in den letzten Monaten. Ist die Frauenbewegung aufgewacht? Melitta Walter: Ich glaube nicht, daß die Frauenbewegung in den letzten Jahren geschlafen hat, sondern daß es soviele brisante Themen gibt, an denen sich Frauen verantwortlich und engagiert beteiligen, daß diese Konzentration auf den Paragraphen 218 nicht mehr möglich war. Allerdings spielt eine Rolle, daß die Frauen in den letzten Jahren gelernt haben, mit diesem Paragraphen zu leben, z. B. Frauen aus Ländern wie Bayern oder Baden– Württemberg fahren halt in ein anderes Bundesland, um Schwangerschaftsabbrüche vornehmen zu lassen. Daß es jetzt eine Zunahme an Aktionen gibt, geht sicher auf das Konto der zunehmend scharfen Aussagen durch CDU– und CSU–Politiker und Politikerinnen und natürlich auf die immer größere Einflußnahme der katholischen Kirche. Da fühlen sich Frauen verletzt und gedemütigt. Das schafft - und leider brauchen wir immer wieder diese Aufhänger der Demütigung, um uns zu wehren - das schafft wieder neues Engagement. Entsteht hier Neues oder treffen sich die alten Kämpferinnen? Ja, die alten Kämpferinnen. Es ist heute schwer festzustellen, wer sind die alten Kämpferinnen, wer sind die neuen. Die Verantwortlichkeit der alten hat ja nicht abgenommen, sie hat sich nur häufig auf andere Gebiete verlagert. Wichtiger ist mir, daß wir die Unterschiede zwischen den Stadt staaten und Großstädten deutlich machen, wo jetzt Veranstaltungen und Aktionen laufen, und den Schwierigkeiten, diese auf dem flachen Land durchzuführen. Die Mehrheit der weiblichen Bevölkerung lebt auf dem Land und nicht in den Ballungszentren. Ich würde es als sehr konstruktiv ansehen, wenn die Frauen, die sich in den Großstädten entschlossen haben, wieder aktiv und kämpferisch zu sein, dies in die ländlichen Gebiete hineintragen würden. Der emphatische Protest der siebziger Jahre läßt sich sicherlich nicht einfach wiederbeleben. Gibt es trotzdem Ansatzpunkte für eine Frauenpolitik gegen den 218, die von den Frauen nicht nur als Pflicht empfunden wird, sondern die auch Spaß machen könnte? Das Problem ist ja, daß die Arbeit engagierter Frauen so wenig Spaß macht, weil die Mißachtung der Aussagen von Frauen ja nicht soviel anders geworden ist als damals. Gerade beim Thema 218 ist das ermüdend. Die Argumente sind schon so oft gedreht und gewendet worden: Es gibt nichts Neues zu sagen. Wir müssen uns allerdings ganz klar vor Augen halten, daß wir das, was wir haben, nicht nur halten sondern verbessern müssen. Frauen tun sich häufig sehr schwer, einzuklagen, einzufordern, wütend zu sein, geschweige denn noch Spaß an solchen Aktionen zu haben. Vielleicht wäre es ja doch der Mühe wert, sich neue Formen zu überlegen. In Westberlin plant die dortige 218–Koordinationsgruppe ein Festival „Rock gegen 218“. Sehr schön, kann ich nur begrü ßen. Ich glaube, daß wir mit mehr Spaß an die Thematik heran gehen müssen, um auch Frauen zu erreichen, die Angst haben vor einer bestimmten Schärfe, die aber kommen würden, wenn wir positive Bilder aufzeigen. Theater, Filmfestivals oder ein Wiederausgraben von Theaterstücken wie „Cyankali“ von Friedrich Wolff aus den zwanziger Jahren ist sicher ein guter Ansatzpunkt, um Frauen zu erreichen. Wo würdest Du in der nächsten Zeit die Schwerpunkte setzen? Konkret steht ja das Beratungsgesetz zum 218 an. Ich glaube, daß es zur Zeit sehr wichtig ist, auf die Parteien Einfluß zu nehmen. Frauen könnten massenweise Briefe schreiben und die Parteien, besonders die Parteifrauen auffordern, diese Verschärfung des 218 nicht zuzulassen. Den Druck auf die Parteien halte ich für einen wesentlichen Punkt: Wir können das nicht alleine bzw. außerhalb des Parlaments schaffen. Wir brauchen lauten Protest und kontinuierlichen Protest. Den Verantwortlichen muß klar werden, Frauen meckern nicht einmal und dann sind sie wieder still. Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Forderung nach empfängnisverhütenden Mitteln auf Krankenschein. Demnächst legen die Grünen dazu auch einen Entwurf vor. Auch da können sich Frauen einklinken. Gibt es Chancen, daß das Beratungsgesetz nicht verabschiedet wird? Es ist ja noch nicht gegessen. Es ist auch die Frage, inwieweit die ser Gesetzentwurf juristisch abgesichert ist. Da sehe ich Chancen der Einflußnahme gerade in FDP– Kreise hinein. Und sicher wird es davon abhängen, wie die Diskussion um AIDS weiter läuft. Da sehe ich leider einen brisanten Zusammenhang. Denn wenn Ministerin Süssmuth und Frau Adam– Schwätzer meinen, sie hätten mit diesem Entwurf für das Beratungsgesetz Schlimmeres verhindert, dann kann es ja nicht in bezug auf den Paragraphen 218 gemeint sein. Denn es ist ja schlimm, was da vor sich geht. Ich kann mir nur vorstellen, daß es ein Kompromiß war zugunsten der Nichteinführung einer bundesweiten Meldepflicht für AIDS–Erkrankte. Dieses aber gegeneinander abzuwägen, halte ich für unseriös, weil beides gleich wichtig ist. Du sprachst eben von juristischen Unsicherheiten. Worauf beziehst Du Dich? Wenn z. B. drinsteht, daß Beratungsstellen daraufhin überprüft werden sollen, ob sie entsprechend den neuen Richtlinien beraten. Wie soll das gehen? Berater und Beraterinnen müßten sich selbst anzeigen. Sie sind ja nicht zu Aussagen über die Beratung verpflichtet, denn wir haben ja Gott sei Dank eine Schweigepflicht. Der andere Weg wäre, daß die betroffenen Frauen Anzeige erstatten. Sie müßten aussagen, ich habe mich so und so beraten lassen, mir wurde gar nichts erzählt über finanzielle Hilfen und ich habe dadurch einen Abbruch machen dürfen. Das wird überhaupt nicht möglich sein. Es wird mit Drohungen gearbeitet, die sich de facto juristisch gar nicht durchsetzen lassen. Gespräch: Helga Lukoschat
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