: P O R T R A I T Der Großbauer als Regierungschef
■ Zum Tod des Bauernführers und ehemaligen indischen Ministerpräsidenten Charan Singh
Von Uwe Hoering
Daß Rajiv Gandhi heute indischer Premierminister ist, verdankt er Charan Singh - ein bißchen zumindest. Als das Janata–Parteienbündnis, das 1977 nach Notstandsregierung, Zwangssterilisationen und politischer Repression das 30jährige Regierungsmodell der Congress–Partei spektakulär beendet hatte, an seinen inneren Widersprüchen und den Intrigen konkurrierender Politiker auseinanderzubrechen begann, war es Charan Singh, der ihm den Todesstoß versetzte. Er brach mit seinen Janata–Freunden und ließ sich zum Chef einer Minderheitsregierung küren, gestützt durch die Parlamentarier der Congress– Partei Indira Ghandis. Der Erfolg war kurzlebig, nach wenigen Wochen stürzte Charan Singh, verraten von Indira Ghandi. Janatas Intrigen, Machtkämpfe und Untätigkeiten boten ihr und ihrer Partei genügend Stoff, um die Wahlen 1980 zu gewinnen. In seinem Wunsch, einmal Indiens Regierungschef zu sein, diente Charan Singh unfreiwillig der Congress–Partei und Indira Ghandi als Steigbügelhalter ihres politischen Come–backs - sein historisches „Verdienst“ liegt darin, für lange Zeit die Glaubwürdigkeit einer politischen Alternative zerstört zu haben. Charan Singh, ein wohlhabender Bauer aus dem nordindischen Uttar Pradesh, war ein typischer indischer Politiker, autoritär, schlitzohrig, machthungrig - wenn auch einer Indira Ghandi bei weitem nicht gewachsen. Mit dem gesunden Mißtrauen des Landwirts betrachtete er die städtisch–intellektuellen Führer anderer Parteien, der Industrialisierungsstrategie der Congress–Partei setzte er ein Entwicklungskonzept entgegen, bei dem Landwirtschaft, Heim– und Kleinindustrie im Vordergrund stehen sollten. Eine breitere Anhängerschaft konnte er damit nicht gewinnen, seine politische Hausmacht blieb die verschworene Gemeinschaft mittelständischer Jat–Bauern in den bevölkerungsreichen Bundesstaaten Indiens. Bei dieser engen sozialen und regionalen Basis war seine Partei, die Lok–Dal, zu schwach, um ihm eine landesweite politische Rolle zu geben. So blieb er politisches Mittelgewicht, einer unter vielen jener sich gegenseitig befehdenden politischen Regionalfürsten, die sich die politische Opposition zum Congress nennen. Nur in jener günstigen Stunde von 1979 war es ihm vergönnt, einmal ganz oben zu sein. Mit seinem Tod findet ein weiteres Stück Generationswechsel in der indischen Politik statt. So, wie Indira Ghandi an Sohn und Ex– Piloten Rajiv übergeben hat, hat Bauernführer Charan Singh vor kurzem das politische Erbe an Sohn Ajit Singh abgetreten - einen in den USA ausgebildeten Ingenieur.
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