I N T E R V I E W „Ich habe versucht, in die Zukunft zu sehen“

■ Waltraud Schoppe, Bundestagsabgeordnete der Grünen, zu ihrer Aussage, den Volkszählungsboykott ohne Gesichtsverlust zu beenden

taz: In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom letzten Freitag standen zwei Meldungen zur Volkszählung. Bundesinnenminister Zimmermann sprach vom Erfolg der Volkszählung und einem Scheitern ihrer Gegner. Waltraud Schoppe forderte die Grünen auf, „Boykotteuren die Möglichkeit zu geben, den Boykott ohne Gesichtsverlust zu beenden“. Ziehst Du jetzt mit Zimmermann an einem Strang? Auf dem Realo–Treffen in Frankfurt erschien es mir in der Diskussion über die Krise der Partei wichtig, darauf hinzuweisen, daß Denkverbote in der Partei unbedingt überwunden werden müssen. Dazu gehört die offene Diskussion von Widersprüchen in politischen Aktionen. Ich glaube, daß der Volkszählungsboykott, unabhängig von der Anzahl derjenigen, die boykottiert haben, für uns schon deshalb ein Erfolg ist, weil die andere Seite die Volkszählung nur hat durchführen können aufgrund von Strafandrohungen und anderen Repressionen. Ich habe in Frankfurt versucht, in die Zukunft zu sehen. Es könnten später einzelne Leute herausgegriffen werden, um ein Exempel zu statuieren. Deshalb müssen wir, die wir zum Boykott aufgerufen haben, auch sagen, daß jeder Boykotteur die Möglichkeit hat, den Boykott an jeder Stelle aus welchen Gründen auch immer aufzugeben. Das kann jeder machen ohne Gesichtsverlust, denn der Volkszählungsboykott ist kein „Ersatzkrieg“ gegen den Staat. Du hast doch faktisch zum Ausstieg aus dem Boykott aufgefordert - zu einem Zeitpunkt, wo tausende noch gar nicht eingestiegen sind, weil entweder der Zähler noch nicht da war, oder sie sich noch unschlüssig sind, ob sie dem Staat den geforderten Gehorsam verweigern oder nicht. Ich habe überhaupt nicht zum Ausstieg aus dem Boykott aufgerufen. Ich habe nur eine Möglichkeit beschrieben, die auf uns zukommen könnte. In einer Partei muß es doch wohl möglich sein, in einem internen Rahmen, wie dem Realo–Treffen, mögliche Folgen des Boykotts zu reflektieren. Na, immerhin stand Deine „interne“ Äußerung am nächsten Tag in der FAZ. Dort hieß es auch, daß nach Deiner Ansicht der Boykott–Aufruf nicht so befolgt werde, wie von den Grünen erwartet. Worauf stützt Du dieses Urteil? Aus meinem Umkreis kann ich sagen, daß der Rücklauf der Zettel nicht so hoch ist, wie ich das erwartet habe. Das Bundesinnenministerium beruft sich bei seinen Einschätzungen der Boykottbewegung auf Berichte von Zählern aus dem „Umkreis“ der Ministerien. Präziser kannst Du Deine Interpretation nicht begründen? Nee, aber die bisherigen Zahlen über Verweigerer bestätigen meine persönliche Meinung. Bei Deinen Fragen habe ich ein ungutes Gefühl. Wenn jemand sich traut, politische Aktionen kritisch zu hinterfragen, dann wird er gleich in die Ecke von Verrätern gestellt. Also bleiben auch die Realos bei dem Aufruf, von leeren Fragebögen die Kennummer abzuschneiden und dann die Zettel an Vobo–Initiativen zu geben? Ich kann den Leuten nur empfehlen zu boykottieren. Das ist doch grauslich, sich zählen lassen zu müssen. Das Gespräch führte Petra Bornhöft