: AIDS–Kongreß im Zentrum der Bigotterie
■ In Washington DC findet das bislang weltweit größte Treffen von AIDS–Forschern statt
Noch bevor der 3. internationale AIDS–Kongreß in dieser Woche in Washington eröffnet wurde, machte US–Präsident Reagan höchstselbst klar, wie er sich den AIDS–Schutz für Amerikaner vorstellt: Grenzen zu für Infizierte und obligatorische Reihenuntersuchungen. AIDS, im bigotten Amerika die Geißel Gottes, ist laut Reagan–Ideologie eine Bedrohung von außen, über die man nicht spricht. Reagans Vorstellungen lösten unter Wissenschaftlern und AIDS–Hilfe–Sponsoren helle Empörung aus.
Mit der Vorstellung einer selbstentdeckten neuen AIDS–Virusvariante, isoliert aus dem Blut von zehn nigerianischen Patienten, präsentierte sich Robert Gallo dem dritten internationalen AIDS–Kongreß in Washington DC. Damit hat der populäre US– amerikanische Entdecker des von ihm HTLV–3 genannten AIDS– Virus wieder den Anschluß an den französischen Konkurrenten Luc Montagnier gefunden, der bereits vorher das differierende afrikanische Virus isolierte. In seiner Eröffnungsrede beschrieb Gallo das zuerst in den USA entdeckte AIDS–Virus als die bösartigste Variante aller später entdeckten Verwandten und Mutanten. Alle verursachten eine lebenslange Infektion und seien in der Lage, das Immunsystem zu zerstören. „Aber es gibt nur eine einzige AIDS–Epidemie“, warnte Gallo das Auditorium davor, sich durch neue Namen und Gruppierungen verwirren zu lassen. Dennoch verkomplizierten die expandierende Virusfamilie Bluttests und die Impfstoffentwicklung und mache es noch schwieriger, vorauszusehen, wie sich die Epidemie ausbreiten werde. In einem anschließenden Interview mit der Washington Post erklärte der Virologe, daß AIDS wahrscheinlich von afrikanischen Affen stamme. Es sei mutiert und habe so Menschen anstecken können. Gallo, der sich in den vergangenen Wochen eher pessimistisch geäußert hatte, erklärte, es sei grundsätzlich möglich, einen Impfstoff gegen AIDS zu entwickeln. Man habe zwei oder drei Proteine entdeckt, die die verschiedenen Virusmutationen alle gemeinsam hätten. Diese Schlüsselproteine können die Basis für einen Impfstoff werden, der es dem Immunsystem ermögliche, eine Infektion sofort zu erkennen und zu bekämpfen. Auf besonderes Interesse des Kongresses stießen auch Studien über die Ausbreitung der tödlichen Immunschwäche bei Heterosexuellen. Dr. Robert Redfield, vom bekannten Walter–Reed– Forschungsinstitut der US–Army erklärte, der heterosexuelle Übertragungsweg sei bereits der bedeutendste in der Welt und werde es auch bald in den USA sein. Redfield berichtete, die Gefahr einer Ansteckung steigere sich mit dem Fortschritt des Krankheitsstadiums eines Infizierten. Bei 19 von ihm untersuchten Paaren, von denen ein Partner nur an milden Symptomen litt, wurde die Krankheit nur in drei Fällen übertragen. Nach einer Arbeit des Instituts für Tropenmedizin in Antwerpen dauert es nur länger, eine Infektion von Frau zu Mann im Antikörpertest nachzuweisen. Das, so der belgische AIDS–Forscher Dr. Peter Piot, sei vielleicht auf die geringere Virusdosis zurückzuführen. 70 Prozent der Frauen, deren Sexualpartner infiziert waren, zeigten bald AIDS–Antikörperreaktionen, während bei nur 36 Prozent der Männer infizierter Partnerinnen der Test positiv ausfiel, referierte Piot. Aber 45 Prozent der Männer, deren Test ursprünglich negativ ausgefallen war, zeigte später doch eine Positivreaktion, von den Frauen entwickelten später neun Prozent Antikörper. Am Ende zeigten 80 Prozent derer, die mit Infizierten zusammenlebten, unabhängig von ihrem Geschlecht AIDS–Antikörperreaktionen. r.k./k.k.
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