Heiße Teilchen im Sandkasten

■ Umwelt–Institut München weist auf bisher nicht beachtete strahlende Kleinst–Partikel hin / Untersuchungen von Sand auf Kinderspielplätzen mit alarmierenden Ergebnissen / Auch Gartenerde stark verseucht

Von Manfred Kriener

Berlin/München (taz) - Das Umwelt–Institut München hat in einer gezielten Meßreihe den Spielsand von 20 bayerischen Kin derspielplätzen untersucht und dabei Alarmierendes festgestellt. Die Umwelt–Wissenschaftler fanden sogenannte „Hot Spots“, das sind tausendstel Millimeter große, radioaktive Staubteilchen mit extrem hoher Strahlung. Schon ein einziges dieser heißen Teilchen zeigt eine Aktivität von 400 bis 1.000 becquerel. Die Untersuchung bestätigte, daß der Spielsand der Kinder durch den Tschernobyl–Fallout „erheblich“ belastet ist. Sie machte erstmals deutlich, daß sich die Belastung nicht gleichmäßig auf die Sandflächen verteilt, son dern ganz wesentlich durch die Teilchen bestimmt wird. Die „Hot Spots“ seien bisher weitgehend ignoriert worden. Auch die Wissenschaftler aus dem Umfeld der Anti–AKW–Bewegung hätten sich viel zu spät damit beschäftigt, kritisierte Xaver Brenner vom Umwelt–Institut. Doch gerade diese Teilchen seien sehr gefährlich, wenn sie durch Einatmung oder - was bei Kindern häufig vorkomme - durch „Essen“ von Sand in den Körper gelangten. Dort können sie die Zellstrukturen angreifen und das Gewebe zerstören. Mit dem Flächenzähler seien die „Hot Spots“ nicht meßbar, weil dabei nur die Gesamtaktivität einer Fläche angezeigt werde. Erst das Gamma–Spektrometer schlüssele die einzelnen Nuklide auf und führe zur Identifikation dieser Kleinst–Partikel. Vor der Presse in München forderten das Umwelt–Institut und die „Mütter gegen Atomkraft“ gestern, daß der Sand auf allen Spielplätzen ausgetauscht wird. Gerade für Kinder, die gegenüber radioaktiver Niedrigstrahlung besonders anfällig sind, müßten „strahlungsarme Zonen“ Fortsetzung Seite 2 geschaffen werden. „Eine Gesellschaft, die nicht mehr in der Lage ist, ihre Kinder zu schützen, fällt hinter die Tierwelt zurück“, formulierte Xaver Brenner drastisch. Die 20 Sandproben aus Kindergärten und Spielplätzen wiesen eine durchschnittliche radioaktive Belastung von 49.300 Becquerel pro Quadratmeter auf, das sind 109 Becquerel pro Kilogramm. Spitzenreiter war der Be zirk München–Ost, wo in einer Sandprobe 109.000 Becquerel pro Quadratmeter (243 bcq/kg) ermittelt wurden. Zum Vergleich: Die durchschnittliche radioaktive Belastung des Bodens in der BRD vor dem Tschernobyl–Unfall lag bei 1.300 bcq/qm. Der Spielsand in München ist demgegenüber 84 mal höher belastet. Daß sich die Bodenbelastung nicht auf den Spielsand beschränkt, machten die Münchner Wissenschaftler mit einer zweiten Meßreihe deutlich. 25 Proben von Gartenerde zeigten ebenfalls erhebliche Spuren des Tschernobyl–Fallouts: In Haingersdorf (Niederbayern) maß das Institut 200.000 bcq/qm, in Bräunlings sogar knapp 300.000 bcq/qm. Durchschnittlich waren die 25 Proben mit 50.000 bis 80.000 Becquerel kontaminiert. „Die erhoffte Auswaschung der radioaktiven Partikel hat nicht stattgefunden“, erklärte Brenner die hohen Werte.