Barbie - der Vorschriftenmensch

■ Halbzeit im Prozeß gegen Klaus Barbie in Lyon / Beweisaufnahme und die Vernehmung der Belastungszeugen wurden am Freitag abgeschlossen / Barbie verweigert weiter die Aussage: „Ich betrachte mich als abwesend“

Aus Lyon Lothar Baier

Am Ende der vierten Verhandlungswoche sind die Beweisaufnahme und Vernehmung der Belastungszeugen abgeschlossen. 60 ehemalige Opfer der SS–Gewalt hatten sich der Pein unterzogen, ihre Schmerzen und Demütigungen als Gefolterte, Deportierte, dem Hunger und der Sklavenarbeit in Konzentrationslagern Ausgelieferte noch einmal zu durchleben. Die strengen Regeln des Schwurgerichtsverfahrens machten aus Leidenszeugen aber nicht unbedingt Zeugen der Tat. Nur wenige Zeugen hatten sich im Stande gesehen, in dem angeklagten Barbie den Täter zu erkennen, der das Kommando über Einkerkerung und Deportation geführt hatte, und ein Teil der entspre chenden Aussagen verlor an Überzeugungskraft, weil sich die Zeugen im Zeugenstand anders erinnerten, als sie es dem Ermittlungsrichter vorher zu Protokoll gegeben hatten. Barbies Verteidiger Verges ließ sich auch die Gelegenheit nicht entgehen, solche Widersprüche groß herauszustreichen und als Ergebnis externer „Einflußnahme“ anzuprangern. Dazu hat ihm die Gegenseite Vergeltung angedroht. Mit der Begründung, daß der Verbleib der von Barbies Gestapo zusammengeraubten Vermögenswerte geklärt werden müsse, beantragten Anwälte der Nebenklage die Ladung des umstrittenen Schweizer Bankiers Franois Genoud, den sie als Behüter des Nazi–Kriegsschatzes bezeichneten. Es ist of fensichtlich, daß damit der Dunkelmann in den Zeugenstand gerufen werden soll, in dem sich Nazi– Sympathien und enge Geschäftsbeziehungen zur arabischen Welt treffen und in dem die Gerüchteküche den okkulten Finanzier der Barbie–Verteidigung ausgemacht hat. Ungeachtet dieses Kleinkriegs zwischen den Prozeßparteien hat der Ankläger Pierre Truche in beeindruckendem Alleingang den Versuch unternommen, den noch einmal und zum letzten Mal vor der Urteilsverkündung in die Box geführten Klaus Barbie zu einer persönlichen Erklärung zu bewegen. „Was ist zwischen 1933 und 1937 geschehen?“ fragte der Oberstaatsanwalt am vergangenen Freitag. „Was hat aus dem aktiven Katholiken Klaus Barbie, der freiwillig Gefängnisinsassen betreute und sich von ihrem Los erschüttert zeigte, den Mann gemacht, der der späteren Taten wegen heute vor diesem Gericht steht?“ Diese Aufforderung zum Dialog über die Schranken des Gerichts und die Grenzen des Tatenvorwurfs hinweg beantwortete Barbie mit dem Rückzug hinter die bürokratische Sektion, die er sich als Verteidigungsstellung hergerichtet hat. „Dazu kann ich keine Angaben machen. Ich betrachte mich juristisch als abwesend.“ Der Vorschriftenmensch, der sich nicht angesprochen fühlt, wenn er jenseits der Vorschriften angesprochen wird - das ist das Bild, das der Angeklagte hinterläßt, über den das Gericht in einem Monat das Urteil zu sprechen hat.