piwik no script img

Gipfelschauder in Venedig

■ Reagans Versuch, den Weltwirtschaftsgipfel zu seinem Come–back umzufunktionieren, scheitert

Große Themen, wie Sicherung der Öltransporte im Persischen Golf, Null–Null–Abrüstungsvorschlag, AIDS, Handelsprobleme, Afghanistan und Menschenrechte in der Sowjetunion, erörtert Präsident Reagan mit den Regierungschefs von Kanada, Großbritannien, Frankreich, der Bundesrepublik, Italien und Japan seit gestern in der Lagunenstadt. Doch selbst Reagans eigene Mitarbeiter beurteilen die Chancen, auf dem 13. Weltwirtschaftsgipfel zu Ergebnissen zu gelangen, mit Skepsis.

„Das Geschäft“, rümpft Giancarla von der „Al Todaro“–Bar an der Piazza Venezia die Nase, „das Geschäft ist bei der Biennale mindestens doppelt so groß und viel weniger verrückt“; Kellner Martio vom „Florida“ an der Rialto– Brücke hofft, daß „von dem Gipfeltreffen nicht nur die McDonald–Restaurants um die Ecke profitieren“. Und im „Lavena“–Nobel–Cafe an der Piazza San Marco, wo ein Espresso 2.600 Lire kostet, haben sie lange überlegt, was das Sextett hier so tagsüber spielen soll - zur Auswahl standen, der süddeutschen Pfingstinvasion wegen, deutscher Marsch und bayerische Ländler (“konzertant arrangiert natürlich“), oder aber, der erwarteten US–Touristen wegen, Südstaatler–Blues. „Am Ende haben wir uns zu Wiener Walzern entschlossen - der Neutralität halber“, erklärt der Kellner in Livre. Sonderlich viel wissen die Venezianer nicht anzufangen mit dem „Summit“ der „sieben Großen“. Nicht nur, daß da allerlei Summit–Muffel böse Worte für die Hohen Herren verbreiten - die große, von Linksparteien, katholischen Basisverbänden und internationalen Komitees veranstaltete Begrüßungsdemo für Reagan empfing diesen gleich bei seiner Ankunft mit Transparenten wie „Willkommen, Herr Präsident, fühlen Sie sich wohl: dies hier ist ein Land ohne Todesstrafe“ -, auch Italiens Medien sehen in dem Spektakel eher eine „Versammlung lahmer Enten“ (Panorama). Die mehreren Tausend Demonstranten des „Gegengipfels“ betrachten Reagan sogar als einen „Irren“, der in Italien nichts verloren hat. Vielleicht liegt es aber auch am Ort: in Neapel oder Palermo hätte ein solches Treffen die Leute vielleicht vom Hocker gerissen; Venedig aber ist abgebrüht. So sehen die Barmänner und die Museumswärter, die Andenkenhändler und die Tauben–Mais–Verkäufer am Markusplatz den Gipfel auch nicht als etwas Einmal–Besonderes an - „als Agnelli den Palazzo Grassi gekauft und nach der Restaurie rung eingeweiht hat, da, ja, da war was los“, begeistert sich Mario vom „Florida“, „und selbst die alte Biennale bringt noch interessantere Leute hierher“. Einen großen Teil des Desinteresses der Venezianer hat freilich Präsident Reagan in letzter Minute verschuldet mit seiner Quartiernahme in der weit außerhalb gelegenen Villa Condulmer, statt im vorgesehenen Hotel „Cipriani“ - noch dazu, wo die CIA das Hotel den schon gebuchten Franzosen mit großem Geräusch abgenommen und für Reagan präpariert hatte. Mitterrand, zuerst verärgert, wohnt jetzt in der von privater Seite bereitgestellten Villa Vopli, die einst auch schon Churchill gefiel, und protzt damit mächtig. Reagan haftet mittlerweile der Ruf des Gipfel–Faulenzers an. „Da kommt er vier Tage vorher nach Italien und macht Ferien“, entrüstet sich Stella von der „Bottega artigianale“ nahe der Porta San Rocco, die ihm eine ihrer weltberühmten handgemalten Karnevalsmasken überreichen wollte, „dann nimmt er nicht mal einen halben Tag am Summit teil und haut wieder ab, nach Berlin. Ein Gipfel zum Lachen.“ Weniger zum Lachen ist wohl den Anwohnern des Canale Grande, die alle paar Minuten von Hubschraubern gestört werden, die da von der Fregatte F 564 der italienischen Marine in der San Marco Bucht abheben und jeweils vier gut sichtbar herausbaumelnde Froschmännerbeine als sichtbare Wacht über den Canale kreisen lassen. Wenig Freude haben auch die bis vor einer Woche zahlreichen Farbigen, die meist Schmuck oder Andenken auf den Piazze verkauften; die Präfektur hat sie reihenweise „aus Sicherheitsgründen“ fortgeschafft. Wenig Freude auch für die Gondoliere, die, statt mehr Geschäft zu machen, in der Markus–Bucht nicht mehr ungehindert schippern dürfen. Aus Ärger haben sie gleich am ersten Tag ein US–Fernsehteam kräftig verhauen, das da vom freigeräumten Kai den Blick zum Tagungslokal auf der Insel San Giorgio filmen wollte. Wenig Freude auch für die Geheimdienstler aller teilhabenden Staaten. Da sie einander nicht kennen, hat einer den anderen reihum im Verdacht, böse Anschläge vorzubereiten. „Vielleicht liegts auch an der Ausstattung“, klärt mir der Carabiniere am Eingang zum Pressezentrum in der Biblioteca San Marco, „wir haben lauter neue Geräte, keiner weiß, wie die funktionieren“ - an seinem Walkie Talkie baumelt tatsächlich die Gebrauchsanweisung herab, „aber in Englisch und Japanisch, das versteh ich beides nicht.“ Die Japaner ihrerseits haben diesmal die perfekte Tarnung gefunden - zu Dutzenden sitzen die Agenten mit Block und Pinsel nahe dem Canale–Ufer und malen unentwegt die Insel San Giorgio mit dem Tagungslokal; versperrt ihnen allerdings ein Tourist die Sicht, hüpfen aus dem Off zwei Söhne Nippons hinzu und verscheuchen ihn entschlossen. Daß all die Mühe mehr als ein paar Erklärungen über nichtwirtschaftliche Themen (AIDS, Bioethik, vielleicht auch Doppel– Null) bringen wird, bezweifelt mittlerweile selbst der als Gastgeber zwangsweise optimistische italienische Ministerpräsident Fanfani. Vorsichtshalber erklärt er - die Wahlen stehen bevor - seinen Landsleuten, daß „das Ganze unserer Staatskasse wirklich nicht viel kostet“. Stimmt, spottet Panorama, „es wird preiswert - denn diesmal sponsert die Wirtschaft ihren Gipfel gleich direkt selbst: Agnelli bietet den Sieben am Montagabend im Palazzo Grassi das Bankett, Olivetti hat die Pressezentrale für die 3.000 Journalisten ausgestattet, Benetton die Hostessen–Dress zur Verfügung gestellt...“ Da kann Ministerpräsident Fanfani leicht vorrechnen, daß der Gipfel in Bonn 1985 umgerechnet 50 Millionen DM gekostet hat, der in Tokio 1986 gar 70 - „wir kommen mit einem Siebtel“ davon aus, umgerechnet 10 Millionen DM. Fiat sei Dank. Werner Raith

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen