: Noch blüht Raps auf der Luneplate
■ Seit 23 Jahren versuchen Bremen und Niedersachsen, auf ehemaliger Weserinsel Großindustrie anzusiedeln / Neue Studie bekannt geworden / Letzte Hoffnung: Daimler
Aus Bremen Michael Weisfeld
Als das Bundesverfassungsgericht die Daimler–Teststrecke bei Boxberg stoppte, lagen in der Stuttgarter Zentrale des Konzerns schon zahlreiche andere Bauplatz– Angebote vor. Bereits im November 1986, also ein halbes Jahr vor dem Karlsruher Urteilsspruch hatten Landespolitiker in Bremen und Niedersachsen begutachten lassen, wie die Daimler–Teststrecke in das Areal Luneplate paßt. Eine entsprechende Expertise der „Wirtschaftsförderungs– Gesellschaft Weser - Jade“ wurde jetzt in Bremen bekannt. Die ehemalige Weserinsel Luneplate am südlichen Stadtrand von Bremerhaven wird seit nunmehr 23 Jahren für die Ansiedlung von Industrie vorbereitet. Tatsächlich haben sich in den fünfziger und sechziger Jahren schwerindustrielle Unternehmen und Großchemie an der Unterelbe, in Wilhelmshaven und Bremen niedergelassen. Ein Rohstoff–Konzern, der Übersee–Materialien verarbeitet, sollte auf der 1.300 Hektar großen Luneplate bauen, doch der Prinz, der die schlafenden Marschwiesen zu schwerindustriellem Leben erwecken soll, läßt bis heute auf sich warten. Wenn die Industrieplaner jetzt mit der Daimler–Teststrecke vorliebnehmen wollen, die nur einen Bruchteil der Arbeitsplätze bringt, die man sich von einem Hüttenwerk oder einer Raffinerie erwarten kann, so wird damit das Scheitern der ehrgeizigen Pläne der sechziger Jahre eingestanden. Aber selbst diesen Spatz haben die nordwestdeutschen Landespolitiker noch nicht in der Hand: immer hin bewerben sich fast hundert Orte um den Daimler–Rundkurs. Dabei haben Bund, Länder und Gemeinden in den vergangenen Jahren gewaltige Mittel geopfert, um den Standort attraktiv zu machen, und die Investitionen gehen noch weiter. Mehr als 80 Prozent der Flächen haben die Länder Bremen und Niedersachsen bisher den Bauern abgekauft. Wochenendsiedlungen, die sich an einem alten Weserarm entlangziehen, müssen im kommenden Jahr von den Eigentümern abgebrochen werden. Für den Fluß Lune, der das vorgesehene Industriegebiet durchschneidet, wurde ein neues Bett gegraben. So entsteht eine geschlossene Fläche, in der Verkehrswege nicht über Brücken geführt werden müssen. Am südlichen Rand der Luneplate wird ab 1991 die Weser untertunnelt. Ein dörflicher Sportflugplatz in der Nähe erhält eine neue Bahn, so daß von dort Flüge zu den großen Flughäfen der Bundesrepublik möglich sein sollen. Für diese teuren Bauten gibt es auch andere - wasserwirtschaftliche oder infrastrukturelle - Gründe. Aber der Blickpunkt, die Luneplate als Industriestandort attraktiv zu machen, spielt dabei immer mit. Sollte Daimler sich tatsächlich für den Standort Luneplate entscheiden, müßte die öffentliche Hand nochmal rund 300 Millionen Mark für Straßenbauten und Versorgungsleitungen ausgeben. Für die Teststrecke müßte ein Teil des alten Weserarms zugeschüttet werden. Die Teststrecke würde bis auf 400 Meter an Wohngebiete heranreichen, so daß auch Lärmschutz–Investitionen angesagt wä ren - und Sichtschutz, denn etwa die Hälfte der dort getesteten Fahrzeuge sollen militärischen Zwecken dienen, wie zum Beispiel der Kampfpanzer Leopard. Indes grasen auf der Luneplate noch die Kühe, gedeihen Raps und Weizen. Die Bauern, die das Marschland vor Jahren an die Regierungen verkauften, bewirtschaften es in Pacht bis zu dem Tag X, an dem die Industrieplaner aus Bremen und Hannover Erfolg haben. Was von Industrie dort heute zu spüren ist, kommt von der anderen Weserseite: Der Westwind trägt den Bleistaub aus dem Schornstein der Nordenhamer Preussag–Hütte auf die Luneplate in solchen Mengen, daß die Bauern ihre Kühe nicht zu allen Zeiten auf die Weiden treiben dürfen. Nach behördlichen Messungen werden den Bauern „Austriebskarten“ gegeben, woraus hervorgeht, wann auf welchen Weiden welche Tiere (Jungvieh, Kälber usw.) gehalten werden können. Für die Verluste werden die Bauern von der Preussag entschädigt - doch vielleicht nicht mehr lange: Eine ganze Reihe europäischer Rohstoffkonzerne will seine Aktivitäten in der Blei– und Zinkverhüttung zusammenlegen, und der Preussag–Vorstand hat signalisiert, daß für ihn der Standort Nordenham in Frage gestellt ist. Der wahrscheinliche Rückzug der Preussag aus Nordenham kennzeichnet den Trend in der Industrie–Region Nordseeküste: Ansiedlungen von Chemiewerken, Metallhütten und Raffinerien gabs überwiegend in den sechziger Jahren, seitdem läuft der Roll– back. Das Asbestos–Werk in Nordenham wurde vor wenigen Jahren geschlossen, und das benachbarte Guano– Düngerwerk, das zur BASF gehört, steht kurz vor dem Ende. Die Mobil–Raffinerie in Wilhelmshaven schloß ihre Tore 1985, der britische Chemiekonzern ICI schuf in der gleichen Stadt nur einen Bruchteil der versprochenen Arbeitsplätze. Das Bayer–Werk in Brunsbüttelkoog, Paradestück der „Nach–Industrialisierung“ der Küste, bietet nur 2.500 Menschen Arbeit und nicht 14.000, wie der Konzern versprochen hatte, nur etwa ein Viertel des erschlossenen Geländes ist bebaut. So ist es kein Wunder, wenn die Politiker in Bremen und Niedersachsen nach dem Spatzen Teststrecke greifen, wo die Taube Industriewerk in so weiter Ferne schwebt. Aber wenn Daimler ablehnt, wird von Bremen aus versucht, einen international tätigen Rohstoff–Konzern zu aquirieren, wie aus der „Wirtschafts–Förderungsgesellschaft Weser–Jade“ in Bremen verlautet. „Dann müssen wir gezielt aquirieren und in den Stabsabteilungen der internationalen Gesellschaften präsent sein“, sagt der Chef dieser Gesellschaft, Alexander von Harder, „konkret sind Großansiedlungen nicht zu erwarten. Ob in zehn Jahren - das ist nicht auszuschließen.“
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