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Der Papst, ein polnischer Patriot

■ Reise des Ober–Katholiken ging gestern zu Ende / Besuch stand im Zeichen der „Versöhnung“ zwischen Kirche und Staat / Wojtila empfing polnische Juden und besuchte Popielusko–Grab

Von Erich Rathfelder

Berlin (taz) - Der Kontrast hätte nicht größer sein können: Papst Johannes Paul II hielt gestern seinen letzten Gottesdienst im Gefolge seiner über einwöchigen Polenreise just vor jenem Gebäude, das in Warschau als Ausbund stalinistischer Architektur gilt: dem im Zuckerbäckerstil hochgezogenen Wolkenkratzer des Kulturpalastes. Vor dessen Eingang hatte man den auf einem Auto aufgebauten Altar, das sogenannte „Eucharistomobil“ gestellt, von dem aus der Papst den Gottesdienst vor über einer Million Menschen zelebrierte, die den riesigen Platz ausfüllten und noch weit in die Seitenstraßen hinein standen. Das jetzige Regime als „stalinistisch“ hinzustellen, hätte das Oberhaupt der katholischen Kirche nur wenig Grund gehabt. Indem schon im Vorfeld des Besuches viele strittige Fragen in Verhandlungen zwischen dem Staat und dem Vatikan angesprochen waren, stand der Besuch unter dem Zeichen der „Versöhnung“ zwischen polnischem Staat und polnischer Kirche, denen an einer Zuspitzung der gesellschaftlichen Konflikte nicht gelegen ist. Denn das Regime weiß, daß es sich reformieren muß und zeigt weiterhin Angst vor gesellschaftlichen Eruptionen. Die Kirche wünscht Reformen und bietet die Stabilität. Die Zusammenarbeit ist für beide Seiten unumgänglich. Indem aber Wojtyla in seinen Reden nicht nur die Erinnerung an die Solidarnosc–Zeit wachhielt, sondern auch die Perspektivlosigkeit der Jugend, die Arbeitsbedingungen vor allem für Frauen ansprach, eine Delegation polnischer Juden empfing und in seinen Aussagen über Litauen und die polnische Ostgrenze die Schmerzgrenze nicht nur des Regimes, sondern auch der Sowjetunion berührte, machte er auch deutlich, daß er weiterhin als polnischer Patriot für die gesamte Gesellschaft sprechen und dem Regime nur einen vorübergehenden Platz in der Geschichte zuweisen will. Der Pole auf dem Papstthron nutzte fast schamlos seine Stellung zur Verkündung eines polnischen Patriotismus konservativer Provenienz. Millionen Menschen konnten die Reise des Papstes auf Schritt und Tritt verfolgen, das staatliche Radio und das Fernsehen waren überall dabei. Sieht man einmal davon ab, daß bei allzu irritierenden Solidarnosc–Rufen der Ton heruntergedreht wurde, konnten - anders als beim Papstbesuch 1983 - die Daheimgebliebenen die Menschenmassen bewundern, die nicht nur ihre für deutsche Augen etwas befremdlich wirkende religiöse Inbrunst, sondern auch politische Forderungen zur Schau stellten. Mit dem Besuch des Grabes des von Sicherheitskräften ermordeten Pater Popieluszko, der zu einem Symbol der auch in Polen von den Oberhirten skeptisch betrachteten „Kirche von unten“ geworden ist, trug er zudem zu einer Überbrückung der Gegensätze im eigenen Klerus bei. Man möchte sich auch in anderen Ländern einen Papst wünschen, der mit gesellschaftlichen Prozessen so feinfühlig umzugehen weiß wie Wojtyla in Polen. Doch Johannes Paul II. leidet wohl selbst an einem polnischen Syndrom der jüngsten Geschichte: Der Blick über den Tellerrand der eigenen Nationalgeschichte will nicht gelingen.

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