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Installation der Fetische

Räume sind voll angesagt. Man begeht Orte, man begehrt Orte. Das bis zur Selbstauflösung therapierte Selbst hat sein Außen wiedergefunden. Von Skulpturen, Objekten, Installationen wird viel verlangt. Das heißt, sie haben Konjunktur. In Kassel weht der Zeitgeist heftig. Das zentrale runde Treppenhaus des Fridericianums, durch das Beuys vor zehn Jahren seine berühmte Honigpumpe gelegt hatte, wurde abgerissen. Entkernt, sozusagen. Zwischen dem ersten Stock und dem Dachgeschoß wurden Zwischendecken eingezogen. Es hätte ja sein können, daß jemand Weitblick entwickelt. Die Kurzsichtigkeit der Abrißplaner versetzt den Besucher des zentralen documenta–Gebäudes in ein Labyrinth. Wer das Stockwerk wechseln will, ist jetzt auf die Hintertreppe angewiesen. Die Hintertreppe fängt meinen Blick, so, wie man Schall dämmt: mit Eierpaletten. Über drei Stockwerke begleitet das graue bis grünlich eingefärbte Material den Verirrten, um ganz unten in einem lockeren Schwung - scharf, wie abgeschnitten - zu enden. Dort (er weiß, es ist verboten) berührt er das Material und stellt fest, daß es nicht von Pappe ist: die „Eierpaletten“ sind aus Beton. Olaf Metzel, der bei dem Berliner Skulpturenboulevard (Kur fürstendamm) mit seinen Absperrgittern Furore gemacht hat, kommt hier bescheiden daher, quasi über die Hintertür. Die „Eierpaletten“ sind ein totaler Raumentwurf: Er hält zusammen, was sonst im Auf und Ab des Alltags zum nicht–mehr–wahrgenommenen (reinen Funktions–) Raum verkommen, dem Blick ent–fallen wäre, das Treppenhaus. Aber Metzel kann nicht wiedergutmachen, was hier durch Ehrgeiz und Dummheit der Planer zerstört worden ist: die zentrale Anlage des Gebäudes mit zwei Flügeln, die vom Treppenhaus wie von einem sichtbaren Rückgrat zusammengehalten worden waren. Einer hat versucht, etwas zu retten: der Ausstellungsarchitekt Vladimir Lalo Nikolic. In die kahlen, langgestreckten Etagen des Fridericianums hat Nikolic kleinere und größere Parzellen eingezogen, deren Gipswände er im Verhältnis zu den Außenmauern des Gebäudes leicht angeschrägt hat. So geht man durch eine Folge locker gewürfelter Schachteln, deren Nahtstellen zu den Grundmauern des ehrwürdigen Baus hin seltsame Fluchten und Keile offenlassen. Merkwürdig: Die Künstler nützen ihre Parzellen wie Kleingärten - die vier Grundlinien sind der absolute Maßstab. Nikolaus Lang, zum Beispiel, legt in die Diagonale seiner Parzelle eine kaum bauchnabelhohe, gewundene Torskulptur, die in einem flachen, trüben Tümpel gelagert ist. Das trübe Wasser wird von einer Gummileiste von der Stärke eines Bordsteins begrenzt, die sich an drei Seiten brav an die Parzellenwände legt und die vierte Seite zum Durchgang hin begrenzt. Der rechte Winkel der Parzellenwände ist der rechte Winkel des Künstlerhirns. Nichts erinnert daran, daß der parzellierte Kunst– Raum sich nicht an Nord und Süd, vorn und hinten - also den Metaphern feudaler Repräsentation - orientiert. Der Großteil der zahlreichen Installationen bleibt auf diese Weise innerhalb der „eigenen vier Wände“ - und sabotiert somit die Idee von Vladimir Lalo Nikolic, die Begrenzung (die ja auch immer Ausgrenzung ist) fiktiv zu denken. Folgerichtig ist es der Raum eines Malers, der daran erinnert, daß der Erfahrungs–Raum und der Geschichts–Raum nicht unbedingt durch vier Wände abgesteckt werden muß. Anselm Kiefer: In seinen monströsen, von rostigem bis moorigem Braun durchzogenen Bildern ereignet sich eine ungeheure Tiefe, die man sich nur als zeitliche denken kann. Was sich aus diesen Materialbildern (besonders: „Brennstäbe“, 1985/87) herausschält, wie gepflügt freilegt, scheint aus dem morastigen Grund einer verdrängten Geschichte aufzusteigen. Von diesen Bildern hängen in Kassel zwei, face to face. Wenn man eins ansieht, hat man zwangsläufig das andere im Rücken. Das ist eine Klarheit in der Konzeption des Ausstellungsraums, die nur wenigen anderen ähnlich überzeugend gelingt. Selten habe ich eine Ausstellung gesehen, bei der so viele Räume auf plumpe Weise zugebaut wurden. Zusätzlich entwickelt sich durch den häufigen Gebrauch von Wasser, Elektromotoren und Videogeräten eine tropische Hitze - besonders in der Orangerie: nicht beabsichtigte „Nebenwirkungen“. Der Traum vom perfekten Raum ist sehr verständlich. Aber viele Künstler sind mit einer gewaltigen Ansammlung gewaltiger Materialien zufrieden. Der ideale Raum wird zu einer bedrohlichen Ansammlung von Fetischen. Was verdrängt wird dabei, ist der Körper, der Ort der Empfindung.

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