Mißtrauen gegen die Realität

■ Berliner Parlament diskutiert über Reagan und die Folgen / Mißtrauensantrag gegen Innensenator Kewenig wird scheitern / Nach der Blockade kommt die Sprachkritik / Nachdenkliche Signale vom Innensenator

Von Mechthild Küpper

Berlin (taz) - Die AL stellte einen Mißtrauensantrag gegen Innensenator Wilhelm Kewenig (CDU), über den gestern in einer Aktuellen Stunde diskutiert wurde. Vorherrschend blieb das Mauern im Regierungslager. Kewenig ließ Ansätze von Nachdenklichkeit erkennen. Abgestimmt wird am Montag. Obschon die SPD das Mißtrauensvotum nicht mit einbrachte, wird sie gemeinsam mit der AL Kewenig das Mißtrauen aussprechen. Die CDU schickte ihren Fraktionsvorsitzenden Buwitt ans Pult, der harte Worte für die Anti– Reagan–Demonstranten und Dank und Wohlwollen für Innensenat und Polizei fand. Wer „in der schwarzen Montur des Autonomen daherkommt“, so Buwitt, „verfolgt faschistische Ideen, er bedient sich faschistischer Methoden, und er hat faschistische Ziele“. Ähnlich hart ging Buwitt mit den journalistischen und politischen Kommentatoren ins Gericht: Wer von „Blockade“ oder „Ghettoisierung“ spreche, entschuldige „durch die Aggressivität der Wortwahl Chaoten“. Angesprochen fühlen durfte sich von Buwitts Kritik auch die FDP–Ju gendsenatorin Schmalz–Jacobsen, die den „Ausnahmezustand“ und die Stigmatisierung eines ganzen Stadtteils in einer Gastkolumne unmittelbar nach dem Reagan–Besuch kritisiert hatte. Ihre Partei, die FDP, deren konservativster Exponent zuvor schon alles „im großen und ganzen rechtsstaatlich“ fand, legte Loyalität an den Tag. Fortsetzung auf Seite 2 Kewenig habe grundsätzlich ihr Vertrauen, so ihr Fraktionschef, und gerade deswegen könne die FDP „in aller Gelassenheit“ auch Kritik üben. Rasch beherzigte die Sprachregelungen der CDU nicht und benutzte den Begriff „Ausnahmezustand“. Walter Momper, SPD–Chef, mißbilligte die Beteiligung zweier SPD–Kreise an der Anti–Reagan– Demonstration. Er forderte nachdrücklich politische Herangehensweisen an die Ursachen von Gewalt. Kewenig habe „bisher immer nur zur Verschärfung der Lage beigetragen“, er rede von „Härte, wo er Vernunft das Wort hätte reden müssen“. Die Maßnahmen Kewenigs stellten eine „Ausgrenzung“ eines ganzen Stadtteils dar, die Abriegelung Kreuzbergs sei rechtswidrig, unnötig und unwirksam gewesen. Momper forderte eine Neuauflage einer überparteilichen Kommission, wie Hans–Jochen Vogel sie in Hausbesetzerzeiten ins Leben gerufen hatte. Kewenig müsse zurücktreten, weil er seiner Aufgabe „nicht gewachsen“ sei und die ganze Stadt, nicht nur Kreuzberg, in einen beklemmenden Ausnahmezustand versetze. Man müsse dringend, so Momper, nach den Ursachen von „Perspektivlosigkeit, Staatsverdrossenheit und Gewaltbereitschaft“ fragen. „Wir müssen den Dialog suchen, auch wenn es schwer fällt“. Nachdenkliche Töne waren auch aus der Rede des Innensenators herauszuhören. Er räumte „hier und da taktische Fehler“ ein. Ihm sei jedoch in der Situation „keine andere Wahl“ geblieben. Kewenig problematisierte polizeiliche Methoden: sie könnten „immer nur den äußeren Frieden gewährleisten“. Man müsse nun „gemeinsam intensiver und vor allem erfolgreicher als bisher“ politische Gegensätze „offener und zugleich kompromißbereiter“ austragen, man müsse „den Ursachen der Gewalt nachzugehen versuchen“. Kewenig stellte die Frage und ließ sie offen, ob angesichts steigender Gewaltbereitschaft und einer hilflosen Polizei „Bewohner ganzer Stadtteile jeden vorbeugenden Schutz ihrer Grundrechtspositionen entbehren müssen“. Er forderte auf, einen „klaren Trennungsstrich zu ziehen“ zwischen „Meinungsfreiheit und Gesinnungsterror“. Diepgen nutzte die Gelegenheit zu einer Regierungserklärung nicht. Er rechtfertigte die polizeilichen Maßnahmen, kritisierte die sprachlichen „Entgleisungen“ und kündigte „zur Stabilisierung eines Kiezes“ den Umzug der Oberfinanzdirektion und von Teilen der Sozialverwaltung nach Kreuzberg an.