Wenig Zeit für das Wiedergutmachungs–Hearing

■ Gespannte Atmosphäre bei der Anhörung im Innenausschuß zum Thema Entschädigung aller Nazi–Opfer / Bis zur Mittagspause nur eine von insgesamt fünfzig Fragen abgehakt / CDU–Politiker und die von ihnen bestellten Sachverständigen hielten sich auffallend zurück

Aus Bonn Ursel Sieber

Bonn (taz) - Die Anhörung vor dem Innenausschuß des Bundestags zum Thema Entschädigung aller Opfer nationalsozialistischer Verfolgung begann gestern morgen gleich mit dem Versuch einer Denunziation: Der CDU– Abgeordnete Gerster zitierte aus einer Einladung für ein Koordinierungstreffen, zu dem der „Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma“ am Mittwochnachmittag andere Verfolgtenverbände eingeladen hatte. Das Treffen wolle er nicht kritisieren, betonte Johan nes Gerster in verschlungen Sätzen, um dann an den Worten „vorbereitendes Koordinierungstreffen ... zur heutigen Expertenanhörung“ einen Generalverdacht gegen die Verfolgtenverbände und kritische Sachverständige aufzuhängen. Der FDP–Abgeordnete Hirsch sprang sofort sehr scharf darauf an: „Es ist für mich eine interessante Information, daß Sachverständige sich getroffen haben, um sich abzusprechen“. Dieser Wortwechsel warf ein bezeichnendes Schlaglicht auf die Atmosphäre, in der die Anhörung begann. Allerdings hielten sich die CDU–Politiker mit Fragen an die von ihnen bestellten Sachverständigen (vor allem Beamte aus den Ministerien) auffallend zurück; auch von sich aus mischten sich diese Sachverständigen wenig ein. Es überwog die Kritik an der bestehenden Entschädigungsgesetzgebung und -praxis. Bereits am Nachmittag wurde jedoch deutlich, daß die Anhörung nicht einmal halbwegs zu Ende gebracht werden konnte. Bis zur Mittagspause um 14 Uhr war gerade die erste von insgesamt fünfzig Fragen abgehakt. Die Vertreter der Regierungsfraktionen hatten die Anhörung auf nur einen Tag begrenzt. Thema der ersten Anhörungs– Stunden war die Frage nach der Grundkonzeption der Entschädigungsgesetzgebung: Zwei Positionen standen sich dabei gegenüber: Der Schweizer Rechtsanwalt Walter Schwarz betonte, das Bundesentschädigungsgesetz „erfaßt alle Verfolgten“. Um zu dieser Aussage gelangen zu können, unternahm Schwarz eine denkwürdige Differenzierung: „Im folgenden wird zwischen dem spezifischen NS–Verfolgungsunrecht und dem nicht–spezifischen, allgemeinen NS–Unrecht geschieden.“ Die Opfer „des spezifischen Verfolgungsunrechts“ hätten, „im Ganzen gesehen ausreichende Entschädigung erhalten“. „Anderes NS–Unrecht, also nicht– spezifisches NS–Unrecht an Men schen, die nicht verfolgt worden sind“, werde vor allem vom Allgemeinen Kriegsfolgengesetz erfaßt. Völlig anders der Richter am Oberlandesgericht Frankfurt, Heinz Düx: Bei der Entschädigungsgesetzgebung sei „die Entlastung des Fiskus“ maßgeblich gewesen, sowie die Tatsache, daß Personen, die nicht aus politischen, rassischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen verfolgt wurden, „für eine Entschädigung nicht als würdig befunden wurden“. Der Psychiater am Westfälischen Landeskrankenhaus, Dörner, nannte die ausgeschlossenen Gruppen: die Zwangssterilisierten, die Euthanasiegeschädigten, die Homosexuellen, die Wehrdienstverweigerer, die Kommunisten, die sogenannten „Asozialen“, die Sinti und Roma. Das Allgemeine Kriegsfolgengesetz habe leider „keine große Bedeutung für die Entschädigung der ausgeschlossenen Verfolgten–Gruppen gehabt“. Allein der Düsseldorfer Rechtsanwalt Haas forderte klar und deutlich, daß das Bundesentschädigungsgesetz „noch einmal überdacht“ werden müsse: Es sei „unerträglich“, daß Verfolgte an einer Formalie wie der Nicht–Einhaltung von Fristen gescheitert sind; zusätzliche Hinderungsgründe seien eingeführt worden, die mit der NS–Verfolgung nichts zu tun hatten; „unerträglich“ sei nicht zuletzt, daß die Opfer für eine Rente einen Zusammenhang zwischen Leiden und Verfolgung mit Attest nachweisen müssen.