piwik no script img

I N T E R V I E W „Eine freie Gemeinde gründen“

■ Interview mit Vera Wollenberger, zwangsweise Hausfrau und Mitglied der Initiative „Kirchentag von Unten“

taz: „Kirchentag von Unten“ klingt nach Basisbewegung. Versteht ihr euch als die Basis der evangelischen Kirche in der DDR? Vera Wollenberger: Darüber haben wir uns bisher wenig Gedanken gemacht. Wichtiger war für uns, was wir wollen. Wir haben uns getroffen, weil wir unsere Themen beim offiziellen Kirchentag nicht wiedergefunden haben. Sowohl Frieden als auch Dritte Welt oder Umwelt waren dort in andere Themenbereiche eingebettet, und für unser Verständnis wurde ihnen dadurch die Brisanz genommen. Der konkrete Anlaß war jedoch die Idee eines Einzelnen, der im März ein paar Leute zusammengerufen hatte. Zuerst waren wir nur zu fünft. Wir haben dann in unseren Flugschriften weitere Interessenten eingeladen. Das Verbot der Friedenswerkstatt, die bisher eigentlich jedes Jahr stattfinden durfte, und die Behinderung der offenen Gemeindearbeit war für viele Leute ein Grund, sich zu beteiligen. (Jahrelang wurden angemessene Räume für die offene Arbeit mit Jugendlichen gesucht, d. Red.) Warum habt ihr nicht versucht, eure Inhalte im offiziellen Kirchentag einzubringen? Für mich war das indiskutabel, als ich gehört habe, daß schon bei der ersten Zusammenkunft der Vorbereitungsgruppe des offiziellen Kirchentages die fertige Themenliste präsentiert wurde. Die Leute wurden von oben zur Vorbereitung eingeteilt, ohne vorher über die Themen zu reden. Auf dem „Kirchentag von Unten“ wurde viel über Formales gesprochen, z.B. ob die Westpresse dabeisein darf oder eine Kirche besetzt werden soll. Kamen dabei nicht die Inhalte zu kurz? Das glaube ich nicht. Zwar wurden die Inhalte für Außenstehende von der Formaldiskussion verdeckt, aber die Arbeitsgruppen sind alle gelaufen. Das liegt auch an unserer Lage. Wir sind es nicht gewohnt, mit freier Presse umzugehen. Wie soll es nach dem Kirchentag weitergehen? Wir wollen erreichen, daß die offene Arbeit endlich feste Häuser bekommt. Von einigen Mitarbeitern wurde ein Projekt angedacht, eine freie Gemeinde zu gründen. Man könnte die Kirche bitten, uns eine der heruntergewirtschafteten Gemeinden zu überlassen. Dort könnten wir unsere Arbeit fortsetzen, ohne Zensur und in Eigenverantwortung und -finanzierung. Ob das klappt, ist natürlich ungewiß. Feststeht, daß wir unsere Flugblätter, die „Fliegenden Blätter“, weiter herausgeben werden. Wie sieht dein Resümee für den „Kirchentag von Unten“ aus? Die Frauenproblematik ist eindeutig zu kurz gekommen. Das lag aber auch daran, daß nur wenige Frauen in der Vorbereitungsgruppe waren. Aber das ist gar nicht so wichtig. Viel wichtiger ist, daß es überhaupt geklappt hat. Aber das könnt ihr im Westen wahrscheinlich gar nicht nachvollziehen. (Lachend:) Den letzten Satz aber nicht schreiben.... Interview: Brian Schuster

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen