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Seoul unter Tränengas

■ Die Stadt stöhnt unter den Folgen der brutalen Polizeieinsätze / Vor Konzessionen für Regierung?

Seoul(afp/dpa/ap) - Zwei Tage nach den durch massivste Polizeieinsätze zerschlagenen großen Friedensmärschen der Opposition bot die südkoreanische Hauptstadt am Wochenende ein gespenstisches Bild. Feiner weißer Staub, der Fall–out des in Südkorea gegen Demonstranten eingesetzten außerordentlich scharfen Reizgases, bedeckte die Innenstadt von Seoul über Kilometer hinweg. Tankwagen versuchten, mit Wasserschläuchen Bäume und Gebäude zu reinigen. Vor allem in Kaufhäusern, U–Bahnen und öffentlichen Gebäuden war die Gaskonzentration immer noch so hoch, daß es Passanten die Tränen in die Augen trieb. Wer es sich leisten konnte, tätigte seine Einkäufe mit Gasmaske. Einzelne Protestaktionen gab es auch am Sonntag. So kam es in Pusan zu einer Demonstration von 10.000 Katholiken. Unterdessen wurden Details des Polizeieinsatzes bekannt. Die martialisch ausgerüsteten Beamten waren offenbar angewiesen, auch kleinste Menschenansammlungen sofort zu zerstreuen, um zu verhindern, daß sich die Demonstranten sammeln konnten. Alle U– Bahnstationen der Zehnmillionenmetropole wurden überwacht und sobald eine größere Gruppe in den Ausgängen erschien, wurden Gasgranaten aus automatischen Granatwerfern in die Schächte geschossen. Fortsetzung auf Seite 6 Seoul ...

Der als Pfeffergas bekannte Kampfstoff verursacht bereits in geringer Konzentration temporäre Blindheit, Verbrennungen und Erstickungsängste. Während der Einsätze wurden 3.500 Menschen verhaftet, die bis auf einige hundert am Wochenende wieder freigelassen wurden. Auch der Hausarrest gegen den Oppositionspolitiker Kim Dae Jung wurde nach dem Ende der Friedensmärsche wieder aufgehoben. Zu tumultartigen Szenen kam es am Samstag im Prozeß gegen die fünf südkoreanischen Polizeioffiziere, die angeklagt sind, im Januar einen Studenten zu Tode gefoltert zu haben. Nachdem der Staatsanwalt eine Haftstrafe von 15 Jahren gefordert hatte, gingen Zuschauer und Verwandte des Opfers auf Wärter und Gericht los. Unterdessen berieten sowohl die parlamentarische Opposition als auch die Regierungspartei am Wochenende intern über das weitere Vorgehen. In der regierenden Demokratischen Gerechtigkeitspartei scheint sich weiter Kompromißbereitschaft gegenüber der Opposition abzuzeichnen. In einem DJP–Statement hieß es, die Kundgebungen in 38 Städten hätten gezeigt, daß die demokratische Entwicklung die Frage der Stunde ist. Selbst regierungsnahe Blätter spekulierten über Neuwahlen. Roo Tae Woo, dessen Nominierung zum designierten Präsidentennachfolger die jüngste Protestwelle ausgelöst hatte, soll dabei eventuell geopfert werden. Widersprüchlich sind die Reaktionen der bürgerlichen Opposition. Der konservative Führer Kim Young Sam nahm seine am Freitag gemachte Ankündigung über den „Kampf bis zum Sturz des Regimes“ in Anbetracht der scheinbar konzilianten Haltung der Regierung formell zurück. Der liberalere Kim Dae Jung warnte dagegen vor übertriebener Euphorie bezüglich der Neuwahldiskussion. Beim derzeitigen Wahlrecht sei es für die Opposition unmöglich zu gewinnen.

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