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Weizsäcker–Rede nicht „von oben“ zensiert

■ Nowosti–Chef Falin weist Vorwürfe der Zensur an der Rede Weizsäckers in der Prawda zurück / Verantwortlich dafür seien „gewisse Leute“ in der Redaktion / Baldige Freilassung von Matthias Rust wurde bekräftigt / Auch „Deutsche Frage“ Gesprächsthema

Moskau (afp/tass/taz) - Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat sich am Mittwoch zu einer abschließenden Gesprächsrunde mit der sowjetischen Delegation unter Leitung von Staatspräsident Gromyko in Moskau getroffen. Weizsäcker wollte im Verlauf des Mittwoch nach Informationen eines Sprechers der deutschen Botschaft auch mit Andrej Sacharow zusammentreffen. Der Chef der sowjetischen Nachrichtenagentur Nowosti und ehemalige Botschafter der Sowjetunion in Bonn, Valentin Falin, ging unterdessen am Mittwoch gegenüber westlichen Journalisten auf den Vorwurf der Zensur der Weizsäcker–Rede in der Prawda ein. Sie sei „für viele unerwartet“ gewesen und nur „von gewissen Leuten“ der Zeitung selbst getroffen und nicht etwa „von oben“ angeordnet worden, erklärte er westdeutschen Journalisten. Damit bestätigte Falin indirekt, daß die sowjetischen Agenturen den vollständigen Text der Rede verbreitet hatten. Im Grunde spiegele die Zensur, so Falin über die Parteizeitung, auch die Meinungsvielfalt wider, die es über die neue Politik gebe. Die Äußerungen Weizsäckers über die deutsche Teilung und bessere Ausreisemöglichkeiten für deutschstämmige Sowjetbürger fehlten in der von der Prawda veröffentlichten Fassung völlig. Auf Fragen nach einer möglichen Freilassung des Sportfliegers Matthias Rust empfahl Falin, „noch einige Stunden oder Tage Geduld“ zu üben. Er halte nach wie vor an seiner vor fast zwei Wochen gemachten Ankün Seite. In eine ausführlichen TASS– Bericht vom Mittwoch, den auch das SED–Zentralorgan Neues Deutschland veröffentlichte, wurden Einzelheiten des Ge sprächs zwischen Gorbatschow und Weizsäcker vom Dienstag nachmittag bekannt. Danach erklärte Gorbatschow zum Verhältnis UdSSR–Deutsche: „Wir haben das deutsche Volk dem Naziregime nicht gleichgesetzt und machen es nicht für das Leid verantwortlich, das uns die Aggression Hitlers zugefügt hat.“ Die Sowjetunion baue heute ihre Politik auf einer realistischen Einschätzung der Möglichkeiten für die Beteiligung der BRD an der Veränderung der gesamten Lage in der Welt und in Europa zum Besseren auf: „Wir sind der Ansicht, daß sich bei der Erneuerung unserer Innenpolitik und bei der Umgestaltung schon in deren ersten Etappe Möglichkeiten auftun, die Beziehungen zur BRD wie auch zu anderen Ländern auf ein neues Niveau zu heben und ihnen dynamischen Charakter zu verleihen.“ Zweifel hege man daran, ob die Bundesregierung bereit sei den Moskauer Vertrag einzuhalten. Man höre immer wieder, die „deutsche Frage“ sei offen. Nachdem Weizsäcker im Gespräch die Deutsche Frage angerührt hatte, sagte Gorbatschow noch einmal dazu, daß er nicht bereit sei, über diesen Begriff zu theoretisieren. Der politische Aspekt sei jetzt wichtig. Es gebe zwei deutsche Staaten mit unterschiedlicher sozialer und politischer Ordnung. Beide hätten ihre Werte.

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