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Stehen unter Neonlicht

■ Im Einzelhandel nimmt die Teilzeitbeschäftigung rapide zu / Vorwiegend Frauen werden zur billigen Manövriermasse

Von Viola Falkenberg

Der Beruf der Verkäuferin ist einer jener typischen Frauenberufe: Es gibt kaum Aufstiegschancen, der Handel gehört zu den Niedriglohnbranchen, Rationalisierungen und Stelleneinsparungen sind an der Tagesordnung. Für die Frauen heißt das, daß sie immer mehr einfache Verkaufstätigkeiten machen müssen - wie auspacken, einsortieren, Ware auszeichnen und kassieren. Anspruchsvollere Arbeiten dagegen, wie Beratungsgespräch und Planung zum Beispiel des Wareneinkaufes, werden rar. Neben den körperlichen Belastungen durch ständiges Stehen und Heben von schweren Kartons sieht die Gewerkschaft die Personaleinsparungen und die Ausweitung der Teilzeitarbeit als das größte Problem im Einzelhandel an. Denn in den letzten sieben Jahren wurde jeder dritte Arbeitsplatz eingespart. Von den verbleibenden knapp zwei Millionen Verkäuferinnen und Verkäufern ist jede dritte nur als Teilzeitkraft beschäftigt. „Die Arbeitgeber wollen immer mehr Teilzeitarbeitsplätze, um Manövriermasse zu haben für starke Verkaufstage, und um variable Einsätze vornehmen zu können“, stellt der Geschäftsführer der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen in Bremen, Hans–Jürgen Söffing, fest. Immer mehr Frauen arbeiten auf Abruf. Es wird nur noch abge sprochen, wieviele Stunden die Frauen pro Monat oder Woche arbeiten sollen. Wann die Arbeitszeiten liegen, wird dann oft sehr kurzfristig vom Vorgesetzten mitgeteilt. Die Planung der Freizeit oder von Weiterbildung wird für die Frauen dann genauso unmöglich wie eine geregelte Unterbringung der Kinder. Daß Teilzeitarbeitsplätze den Frauen die Kombination von Familie und Berufstätigkeit ermöglichen oder erleichtern, ist deshalb ein hohles - aber in der Öffentlichkeit sehr wirksames - Scheinargument der Arbeitgeber. Daß in „zahlreichen Betrieben die Vollzeitbeschäftigten bereits in der Minderheit sind“ und „Teilzeitquoten von 80 Prozent und mehr“ keine Seltenheit sind, wie die Gewerkschaft feststellen mußte, hat auch etwas mit den Belastungen der Verkäuferinnen zu tun. Diese sind häufig so hoch, daß sie für die Frauen nur in Form von Teilzeitarbeit ertragbar sind. Außerdem werden teilzeitbeschäftigte Frauen häufig von betrieblichen Zahlungen wie Altersversorgung, Sozialleistungen und Zulagen ausgeschlossen. Weiterbildungs– und Umschulungsmaßnahmen gibt es für sie nur selten. Und sie werden häufiger unter Tarif bezahlt als ihre vollzeitbeschäftigten Kolleginnen, weil nicht ausreichend auf die richtige Eingruppierung und die Anerkennung vorausgegangener Berufs jahre geachtet wird. Auch die anteilige Zahlung von Urlaubs– und Weihnachtsgeld und die Bewilligung von Urlaubstagen wird - obwohl per Gesetz geregelt - oft verweigert oder nach Gutdünken geregelt. Die Unternehmer scheint es auch wenig zu stören, daß die Einstellung von Teilzeitbeschäftigten ohne die Festlegung der Arbeitsdauer und der genauen Arbeitszeit rechtswidrig ist. Gesundheitsbelastungen Parallel zu dem überdurchschnittlichen Anstieg der Flexibilisierung und dem vermehrten Einsatz von Teilzeitkräften auf freiwerdenden Vollzeitarbeitsplätzen stieg auch die Zahl der Arbeitsunfälle im Handel. Die Berufsgenossenschaft führt die hohen Unfallzahlen vor allem darauf zurück, daß Teilzeitkräfte „in sehr vielen Fällen“ nur unzureichend in die Arbeit eingewiesen werden. Neben den Unfällen wurden bei den Berufsgenossenschaften im vergangenen Jahr über 300 Fälle von schweren Hautkrankheiten und fast 100 Atemwegserkrankungen gemeldet. Die Ursachen dafür sind Plastikverpackungen, Farben auf den Kartons sowie die Klimaanlagen. Besonders die Belüftungsanlagen über den Kassenarbeitsplätzen und die Teppichböden in den Kaufhäusern scheinen für die Krankheiten der Atemwege verantwortlich zu sein. Daß Sehnenscheidenentzündungen bei den Verkäuferinnen zunehmen, wurde den Berufsgenossenschaften zwar gemeldet - anerkannt und entschädigt wurde bisher aber nicht. Es bleibt zu hoffen, daß sich dies endlich ändert, wenn die Gewerkschaft ihr gerade begonnenes Projekt zu den „Gesundheitsbelastungen der Verkäuferinnen“ beendet hat. Vielleicht werden dem Personal dann auch ausreichend Sitzmöglichkeiten zur Verfügung gestellt. Denn immer noch sind viele Verkäuferinnen gezwungen, den ganzen Tag zu stehen. Kein Wunder, daß jede dritte in einer Umfrage der Bundesanstalt für Arbeitsschutz über häufige Schmerzen klagt. Ständiges Stehen belastet den Kreislauf, führt zu Muskelverhärtungen im Lenden– und Schulter–Nacken–Bereich, Überlastungen der Bandscheiben, Krampfadern, Juckreiz der Beine und nächtlichen Wadenkrämpfen. Auch Hüft–, Knie–, Fußbeschwerden und Kopfschmerzen stehen damit im Zusammenhang. Per Gesetz ist vorgeschrieben, daß es an den Arbeitsplätzen Tageslicht geben muß. Heinrich Bestenborstel vom Bremer Gewerbeaufsichtsamt stellt dazu fest: „Gerade in Kaufhäusern ist es eher die Regel als die Ausnahme, daß nur bei Kunstlicht gearbeitet wird.“ Das habe nicht nur Auswirkungen auf die Augen, sondern auch auf das vegetative Nervensystem und kann zu Kreislaufbeschwerden führen. Völlig unzulässig - aber besonders in Mode– und Plattengeschäften anzutreffen - sind Lichtorgeln und blendende Spottlichter. In einer Umfrage der HBV im Einzelhandel unter dem Motto „Ich bin ein Mensch - kein Kostenfaktor“ beschwerten sich die Verkäuferinnen vor allem über die schlechte Luftqualität und Luftzug in den Räumen. Durch eine bessere Wartung und den Einbau technisch ausgereifter Belüftungsanlagen wäre dies in der Regel zu vermeiden. Als besonders belastend wurden in der Umfrage der Personalmangel, die Arbeitszeit und das Betriebsklima eingestuft. Bei der Frage nach wichtigen Tarifforderungen steht die Erhöhung der Löhne an erster Stelle. Verdient eine gelernte Verkäuferin nach dem gültigen Tarifvertrag doch nur 8,80 DM brutto pro Stunde (12,87 DM Endgehalt nach dem siebten Berufsjahr; 7,06 DM als ungelernte Verkäuferin). Wobei es immer noch Arbeitgeber gibt, die selbst diese niedrigen Tariflöhne unterlaufen. So gibt es gerade Frauen, denen gerade 4,50 DM pro Stunde bezahlt wird. Literatur zum Thema: 1. Hetze, Monotonie und Streß. Arbeitsbedingungen und -belastungen von Frauen. Dokumentation zusammengestellt von Brigitte Stahn–Willig, zu bestellen für 10 DM beim Wirtschafts– und Sozialwissenschaftlichen Institut des DGB, Hans–Böckler–Str. 39, 4000 Düsseldorf 1. 2. Teilzeitarbeit. Broschüre der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen. 3. Arbeitsbedingungen und Erkrankungsrisiken des Verkaufspersonals. Studie von K. Straif, für 41 DM zu beziehen bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz, Vogelpothsweg 50–52, 4600 Dortmund 1.

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