Süssmuth gegen Aids–Meldepflicht

■ Strategiepapier des Bundesgesundheitsministeriums setzt auf Aufklärung / Ausgrenzung verhindern / Von der Ungefährlichkeit sozialer Kontakte überzeugen / Einwegspritzen aber keine Methadonprogramme

Bonn (dpa) - Bundesgesundheitsministerin Rita Süssmuth (CDU) ist fest entschlossen, eine namentliche Meldepflicht für Aids–Kranke und Aids–Infizierte zu verhindern. In einem am Montag in Bonn bekanntgewordenen ersten Strategiepapier ihres Ministeriums zur Bekämpfung der Aids–Krankheit in der Bundesrepublik heißt es: „Eine seuchenhygienisch nicht erforderliche Ausgrenzung von Infizierten und Kranken muß in allen Lebensbereichen verhindert werden.“ Im Vordergrund stehe „eine umfangreiche Aufklärung aller mit dem Ziel, Verhaltensänderungen bei Gefährdeten zu erreichen“. Schwerpunkt der Aids–Bekämpfung müsse die „Unterbrechung der Infektionswege“ sein. „Der uns allen ungewohnte Status des Infiziertseins muß unser aller Solidarität herausfordern.“ Auf Meldepflichten, wie von Bayern gefordert, könne verzichtet werden, weil bereits seit 1982 beim Bundesgesundheitsamt (BGA) Berlin ein Aids–Fallregister anonym geführt werde und Laboratorien künftig über Blutuntersuchungen anonym berichten müssen. Außerdem seien „deutsche Ärzte und ihre Patienten... gegenüber jeglichen Meldepflichten sehr mißtrauisch und ablehnend, was auch historische Gründe haben dürfte“, heißt es. Das BGA beobachte bereits seit 1984 regelmäßig die Infektionsrisiken und Infektionsverläufe bei Personen aus Risikogruppen. Auch Studien über Infektionen bei Schwangeren, bei Paaren mit einem infizierten Partner und Neugeborenen seien in Arbeit. „Eine zwangsweise und in regelmäßigen Abständen zu wiederholende Testung aller Bürger ist nicht vorgesehen“, heißt es in dem Aids–Papier weiter. Das Strategiepapier verweist auch darauf, daß bei Tests von Blutspenden in Baden–Württemberg, Hamburg und Schleswig–Holstein seit mehr als einem Jahr kein Aids–infizierter Blutspender mehr festgestellt worden sei. In Hessen sei im ersten Quartal dieses Jahres nur ein Aids– Infizierter unter 70.000 Blutspendern gewesen. Gegen die Aids–Angst in der Bevölkerung sei Aufklärung „das entscheidende Instrument der Aids–Bekämpfung“, meinen Frau Süssmuth und ihr Aids–Arbeitsstab im Ministerium. Es sei „wichtig, die Ungefährlichkeit normaler sozialer Kontakte mit Infizierten und Erkrankten überzeugend darzustellen, damit eine aus solchen Befürchtungen erwachsende Ausgrenzung vermieden werden kann“. Aufklärung müsse die Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen, der sich durch ein entsprechendes Sexualverhalten selbst vor einer Ansteckung schützen könne, herausstellen. Es gebe inzwischen erste „eindrucksvolle Hinweise darauf, daß angestrebte Verhaltensänderungen stattfinden“. Dies sei insbesondere für den Kreis der Homosexuellen „recht überzeugend“ dargestellt worden. Wie aus dem Aids–Strategiepapier hervorgeht, sieht Frau Süssmuth ein weiteres Kernstück der Aids–Bekämpfung in vier Modellprogrammen, die aus dem jährlichen 132–Millionen–Mark–Haushalt der Bundesregierung für Aids finanziert werden: die Programme „Psychosoziale Beratung“, „Streetworker“, „Aids und Drogen“ und „Großmodell Gesundheitsämter“. Das Programm „Aids und Drogen“ begann mit der Abgabe von Einmalspritzen für Drogenabhängige über Apotheken und Beratungsstellen. Nach einer Entscheidung der Gesundheitsministerkonferenz der Bundesländer wird in Einzelfällen und unter ärztlicher Kontrolle auch die Verabreichung von Ersatzdrogen wie Methadon erwogen. Breit angelegte Methadon–Progamme will Frau Süssmuth aber nicht genehmigen. Ausgrenzung ist auch teurer als der andere Weg: Wenn Aids–Infizierte trotz Arbeitsfähigkeit aus dem Arbeitsleben ausgegrenzt werden - das kann sich, wenn an einer Stelle damit angefangen wird, wie ein Flächenbrand ausweiten - dann können sie nicht mehr selber für ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familie sorgen, dann muß dafür die öffentliche Hand eintreten.“