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Mit dem Kompostklo auf der Giftgrube wohnen

■ Bochumer Alternativprojekt plant ökologische Siedlung auf altem Kokereigelände / Zwei Jahre legten sich die Initiatoren krumm / Jetzt ergab ein Gutachten die tiefgehende Verseuchung des Geländes / Standort nun heftig umstritten

Aus Bochum Petra Bornhöft

„Welches Mitglied der Genossenschaft ist denn noch für die Bebauung? Wer will auf dem alten Kokereigelände ruhigen Gewissens wohnen, Kinder spielen lassen und Gemüse ernten?.“ Diese Frage einer Zuhörerin blieb am Dienstag abend bei der Podiumsdiskussion des Bochumer Alternativ–Projektes „Gesundes Stadthaus“ unbeantwortet. Anlaß für Entsetzen und Sorge ist ein Gutachten über den Zustand des Grundstücks für die geplante ökologische Siedlung mit 100 Wohneinheiten: Das Gelände ist teilweise bis zu einer Tiefe von 20 Metern verseucht. Die Genossenschaftsgruppe ist zwar noch unentschlossen, Rüdiger Bredendiek, einer der Initiatoren, meint gleichwohl: „Das Gutachten ist nicht so niederschmetternd und schließt eine Eignung nicht aus.“ Kritiker dagegen, wie Diplom–Ingenieur Andreas Borgmann vom BUND–Umwelt–Forschungsinstitut, halten eine Wohnbebauung des Geländes der ehemaligen Zeche Lothringen I/II für „völlig unvertretbar“ und fordern von der Stadt Bochum, sofort einen Sicherheitszaun um die Giftgrube zu ziehen. Am Anfang große Begeisterung Das Projekt, das jetzt die (grüne) Bochumer Szene in Wallung geraten läßt und bei Anwohnern anderer Kokereistandorte helles Entsetzen auslöst, stieß ursprünglich auf ungeteilte Begeisterung. Seit Anfang 1985 konkretisierten engagierte Planer und Wissenschaftler die Idee, „ökologisch, ökonomisch und sozial zu bauen, zu wohnen und zu arbeiten“. Nicht Eigentumswohnungen oder kleine Villen im Grünen für die „Öko–Schickeria“ wollte man entwerfen. Das Genossenschaftsmodell sollte auch finanziell Schwachen gesundes städtisches Wohnen ermöglichen. „Wir wollen modellhaft beweisen, daß ökologisches Bauen auch im Ruhrgebiet möglich ist“, umreißt Planer Heinz van den Boom die Zielsetzung. Daran fanden nahezu alle Politiker Gefallen. Der SPD–Bundesvorstand signalisierte frühzeitig Unterstützung, schließlich ist das Altlastenproblem der mindestens 129 Kokereiflächen im Revier un gelöst. Entsprechend begeistert sich der lokale SPD–Fraktionsgeschäftsführer gegenüber der taz nicht nur für den „Reiz des Genossenschaftsgedankens. Besonders faszinierend ist es, auf kontaminierten Flächen ökologisch zu bauen.“ Dieser Gedanke stimmte auch das NRW–Städtebauministerium großzügig. Minister Christoph Zöpel (SPD) kündigte einen Planungskostenzuschuß und die Förderung von 30 Wohneinheiten aus Mitteln des sozialen Wohnungsbaus an. Eine Zusage allerdings, zu der das Ministerium in den letzten Tagen nun beharrlich schwieg. Konkreter dagegen die Hilfe der Stadt Bochum. Sie bot 18 Grundstücke zur Auswahl an. „Auf Anraten des kommunalen Planungsamtes“, heißt es in der Projekt–Zeitung, setzte das „Gesunde Stadthaus“ Anfang 1986 das Zechengelände auf Platz eins der Prioritätenliste - und plante fortan Häuser mit Grasdach, Kompostklo und Solararchitektur, Pflanzenkläranlage, Spiel– und Gemüsegärten auf Lothringen I/II. Anspruchsvolle Verkehrs–, Wasser–, Müll– und Energiekonzepte konnte die Gruppe in einem Beitrag für den NRW–Lan deswettbewerb „Ökologisches Bauen“ zusammenfassen und in einen Entwurf für das angepeilte Grundstück umsetzen. Finanziert wurden die Vorarbeiten über Einlagen der mittlerweile 35 Genossen, Kredite von Banken, Mieterverein und Öko– fonds der Grünen, ABM–Maßnahmen sowie Fremdaufträge der Planer und Architekten. Niedrigstlöhne, hohe Schulden, Bürgschaften und persönliche Haftungssummen nahmen die Beteiligten auf sich, nach deren Plan eigentlich schon am „ersten frostfreien Tag 1986“ der Grundstein gelegt werden sollte. „Eine klare Fehleinschätzung“, räumt jetzt Psychologe Rainer Bredendiek ein, und kündigt den ersten Spatenstich für 1989 an. „Schließlich können und wollen die Genossen nicht ewig auf den Umzug warten.“ Bauchschmerzen der Initiatoren Daß auch dieser Termin nicht einzuhalten sei, befürchten Kritiker, die alle der Projektidee nach wie vor wohlgesonnen sind, aber wegen des beabsichtigten Standortes große Bauchschmerzen haben. Sie teilen nicht den „Sanie rungsoptimismus“ des von der Verwaltung beauftragten Gutachters Jürgen Kanitz, Mitarbeiter des privaten „Labors für Hygiene und Umweltchemie“ von Professor Selenka (Uni Bochum). Kanitz fand dort, wo fast 100 Jahre mit kokereitypischen Stoffen herumgesypht wurde, „in einem Bereich hohe Kontaminationen“ und an anderer Stelle „diffuse, kleine Kontaminationen“. Fazit: Das Gelände, auf dem neben Koksöfen, Benzolfabrik und Holzimprägnieranlage im Ersten Weltkrieg auch noch eine Sprengstoffabrik stand, „ist nicht stärker belastet als eine gut frequentierte Tankstelle“. Diese Bemerkung quittierte ein Zuhörer mit dem Ausruf: „Wer will schon an einer Tankstelle wohnen, und dann auch noch ökologisch?“ Der BUND jedenfalls nicht. Sein Vertreter Andreas Borgmann hält das „Restrisiko“ der nachgewiesenen gesundheitsschädlichen bis krebserregenden Kohlenwasserstoffe (Benzol, Toluol, Xylol, Naphtalin oder Benzo–(a)–Pyren) für unvertretbar gefährlich. Borgmann, der für die von Kanitz vorgeschlagenen, gängigen Sanierungsverfahren vor Baubeginn einen Zeitraum von anderthalb bis zu vier Jahren veranschlagt, wörtlich: „Tiefgreifend belastete Böden können heute mit keinem Sanierungsverfahren entgiftet werden.“ Auf allseitiges Staunen stießen am Dienstag die vom BUND–Vertreter formulierten konkreten „Anforderungen an den Boden bei Wohnprojekten auf Altlasten“. Danach sollte die Schadstoffkonzentration zum Beispiel für Benzol 0,01 mg/kg nicht überschreiten. Dieser Wert liegt weit unter dem Ruhrgebietsdurchschnitt und gilt bei Projektmitarbeitern und vielen Grünen als „utopisch und unrealistisch“. Auswandern nach Australien Dagegen wundert es den BUND, daß „dieses Thema gerade für Ökologen ein Tabu darstellt. Wir akzeptieren nicht die Normalbelastung des Reviers, sondern streben bei der Altlastensanierung Impulse für eine deutliche Senkung der Belastung an“, sagte Borgmann zur taz. Innerhalb der nächsten drei Wochen wollen Planungsgruppe und künftige Bewohner sich entscheiden, ob die Fläche Lothringen I/II ihren (noch unbekannten) Kriterien entspricht. Die politischen Parteien, die einen Bebauungsplan verabschieden müssen, gehen „erstmal in die Sommerpause“, heißt es bei SPD und Grüner–Fraktion übereinstimmend. Dagegen ist die Öko–AG der Bochumer Grünen wild entschlossen, die Projektgruppe „Gesundes Stadthaus“ von der Notwendigkeit der Suche nach einem anderen Grundstück zu überzeugen. Ob das gelingen wird, steht dahin. Jedenfalls ist für Projekt–Geschäftsführer Helmut Tielmann klar: „Unser Vorgehen ist das einzig Wahre. Wenn man nicht ökologisch auf einer Altlast baut, kann man nur NATO–Draht drum ziehen und nach Australien auswandern.“ Siehe Kommentar auf Seite 4

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