Aquino macht den Bock zum Gärtner

■ Wenn am Montag das neugewählte Parlament der Philippinen zum ersten Mal zusammentritt, hat die Präsidentin keine Kompetenz zur Gesetzgebung mehr / Die Abgeordneten, zu zwei Dritteln Großgrundbesitzer, werden das letzte Woche unterzeichnete Gesetz zur Landreform nun verwässern

Aus Manila Alois M. Berger

Seit fünf Monaten ist die Ernte auf der Hacienda überfällig. Das Zuckerrohr steht mehr als drei Meter hoch auf den Feldern und beginnt, welk zu werden. Auf dem Gutshof von Pedro Jamiguel wird dieses Jahr nicht geerntet - und vielleicht auch die nächsten Jahre nicht. Der Hof liegt auf dem Küstenstreifen von Leyte, einer der zehn Hauptinseln der Philippinen. Die beiden Zuckermühlen der Insel haben den Großgrundbesitzer schon im Februar wissen lassen, daß sie seine Ernte nicht abnehmen werden. Die achtzig Zuckerarbeiter, Männer, Frauen und Kinder, die bisher für 95 Pfennig pro Tag auf den Feldern gearbeitet haben, wissen nicht mehr, wovon sie leben sollen. „Von Zucker kann man sich nicht ernähren“, sagt Theofila Lajato bitter. Sie sammelt seither Palmenreisig, um es in der Marktstadt Ormoc zu verkaufen. Eine Mark bekommt sie für das, was sie den sieben Kilometer weiten Weg auf dem Kopf tragen kann, Abnehmer findet sie höchstens zweimal die Woche. Seit ihr Mann vor einigen Jahren bei einem Streit um bessere Arbeitsbedingungen von einem Wachposten der Hacienda erschlagen wurde, muß sie ihre acht Kinder allein durchbringen. Vor einiger Zeit haben die Familien von Jamiguel angefangen, an den Wegrändern und Flußböschungen Süßkartoffeln und magere Maispflanzen zu ziehen. Als sie dann versuchten, auch auf einem kleinen Stück brachliegenden Zuckerfeldes Mais anzubauen, drohte der Gutsherr, das Militär zu holen. Wenn die Arbeiter erst einmal Mais anbauen, so fürchten die Großgrundbesitzer, dann könnten sie auch Anspruch auf die Felder erheben, da Mais– und Reisäcker unter das Landreformgesetz von 1972 fallen. Die Grundherrn kleben deshalb an ihren Zuckerfeldern, obwohl die Produktionskosten auf den Philippinen mittlerweile doppelt so hoch sind wie der Weltmarktpreis. Seit sich die Europäische Gemeinschaft mit ihrem wesentlich teureren Rübenzucker zum viertgrößten Zucker exporteur der Welt hochsubventioniert hat, ist der Kilopreis an der Londoner Börse von 65 auf 7 US– Cent gefallen. Niedergang der Zuckerwirtschaft Fred Jungco ist Sekretär der jungen Zuckerarbeitergewerk schaft NFSW in Ormoc. „Im letzten Herbst haben wir Lohnerhöhungen um fast 90 Prozent durchgedrückt“, sagt er, das sei ein wichtiger Schritt gewesen, den sie unter Marcos nie geschafft hätten, der aber jetzt immer weniger Arbeitern zugute käme. Mit dem Zucker sei es aus und vorbei. „Das Land muß denen gegeben werden, die darauf arbeiten, damit sie für ihren Lebensunterhalt anbauen können.“ Und wenn die Regierung weiter zögere, fügt er hinzu, „dann werden wir die Felder selbst beschlagnahmen“. Nach dem Sturz des Diktators Marcos hatte die neue Präsidentin Corazon Aquino 17 Monate Zeit, um mit den Vollmachten der Revolutionsregierung eine Landreform zu verfügen. Am 27. Juli übernimmt im Mai dieses Jahres gewählte Parlament die Gesetzgebung - ein Parlament, das sich zu zwei Dritteln aus Großgrundbe sitzern zusammensetzt. Unter massivem Druck von Kirchen, Gewerkschaften und Bauernverbänden hat Aquino wenige Tage vor Toresschluß doch noch ein Rahmengesetz vorgelegt. Landreform unter Marcos Bis die Zuckerfelder von Pedro Jamiguel verteilt werden müßten, gehen noch Jahre ins Land. Zeit genug für das Parlament, um reichlich Ausnahmen zu definieren, und für die einzelnen Großgrundbesitzer, sich auf diese Ausnahmen einzustellen. Die Bauern in den Dörfern um Ormoc haben da ihre Erfahrungen. Als Marcos im September 1972 die Landreform verfügte, war dies vorwiegend als Kosmetik für das sechs Tage vorher verhängte Kriegsrecht gedacht. Vier bis sieben Jahre später erst kamen die Ministerialbeamten nach San Isidro und Villaba, nach Tinago und Daja Daku. In den Reisfeldern sprossen mittlerweile einzelne blutjunge Kokospalmen. Grund genug, die Felder als Kokosplantagen zu notieren, die nicht unter die Landreform fielen. „Der alte und jetzt wieder neue Besitzer hat uns durch das Militär von den Feldern verjagen lassen.“ Zwei Bauern wurden damals, 1980, verhaftet und eingesperrt, einige flohen in die Wälder. Die vier Großgrundfamilien von San Isidro durften schließlich jede um die 800 Hektar behalten, die 720 Bauern bekamen im Durchschnitt 1,6 Hektar. Dabei hat jeder höchstens das bekommen, was er vorher als Pächter bewirtschaftet hatte, und „das hing noch vom Wohlwollen des Landlords ab“, schimpft Risas. Immer mehr landlose Wanderarbeiter Die Verwaltung sei viel zu schwach für eine wirkliche Neuverteilung, so Risas, das hätten die Großgrundbesitzer längst begriffen, die nun nach und nach überall Rinderfarmen anlegten. „Auf sol chen Farmen gibt es nur Kühe, keine Pächter, die irgendwann einmal Anspruch auf den Grund und Boden erheben können.“ Ein paar hundert Meter weiter treffen wir Pedro Lastima, einen alten Mann, der auf einem viertel Hektar Steilhang Tabak zieht und ein Drittel davon seinem Grund herrn abgeben muß. Er war früher Zuckerarbeiter, dann zehn Jahre lang Maispächter, heute hofft er nur, nicht noch einmal verjagt zu werden. Langsam schlurft er vor uns den schlammigen Bergpfad hinauf bis zu der Lichtung, die den Blick freigibt auf ein weites Tal mit dunklen Wiesen bis zum Horizont. „Das waren alles Maisfelder“, sagt er und zeichnet mit dem Finger die Hügelkuppen nach. „500 Familien haben hier gelebt.“ Doch als dann aus dem fernen Manila plötzlich Meldungen über eine bevorstehende Landreform gekommen seien, habe der Landlord ihre Hütten abreißen lassen und Rinder auf die Felder getrieben. „Da mußten wir gehen.“ Nur drei Familien haben wieder einen Pachtgrund gefunden, so wie er: ein winziges Stück Land, zum Leben zu wenig und zum Verhungern zu viel. „Die anderen sind auf die Plantagen gegangen oder ziehen als Erntehelfer von Dorf zu Dorf.“ In den letzten 30 Jahren ist die Zahl der landlosen Wanderarbeiter von zehn auf 40 Prozent der Landbevölkerung an gestiegen. Ob einige seiner ehemaligen Nachbarn in die Berge gegangen seien, zur Guerilla? Zum ersten Mal gibt Lastima keine Antwort, er schaut nur geradeaus. „Wenn wir heute 24.000 Bewaffnete in den Bergen haben“, schätzt Wally Banso von der Demokratischen Arbeiterpartei, „so sind die wenigsten davon eingefleischte Kommunisten.“ Viele seien zur Guerilla gegangen, weil ihr Bruder von den Militärs gefoltert oder der Vater ermordet worden war. „Auch unter Aquino“, fügt er hinzu, „wenn auch nicht mehr so häufig.“ Vor allem aber seien es unzufriedene Bauern und Arbeiter, „die nichts mehr verlieren können, weil sie schon alles verloren haben“. Die herrschende Oberschicht in Manila hat Angst vor einem weiteren Anschwellen der aufständischen Neuen Volksarmee (NPA). „Deshalb drängen sie Aquino zur Landreform“, sagt Banso, die soziale Gerechtigkeit sei den wohlhabenden Hauptstädtern traditionell gleichgültig. Aquino versucht nun das Kunststück, die Bauern zu beruhigen, ohne ihre reichen Wahlhelfer zu verprellen. Dazu gehört auch ihre eigene Familie, die selbst ausgedehnte Zuckerfelder besitzt. Das Parlament soll deshalb eine „gerechte Entschädigung“ für die Großgrundbesitzer festlegen. Doch was die Landeigner, die im Parlament die Mehrheit haben, „gerecht“ finden, haben sie zu Zeiten der Marcos–Reform gezeigt. Die Landreform treibt die Kleinbauern in die Überschuldung Marlo Merin ist seit einem Jahr Chef im Regionalbüro des Reformministeriums in Tacloban. Obwohl er sich als Repräsentant einer neuen sauberen Regierung gibt, weicht er lange aus, blickt vor jeder Antwort scheu zu seinen Mitarbeitern, die schon unter Marcos hier saßen. Doch als seine Sekretärin eine Akte nicht herausrücken will, wird er kühn. Er holt die Akte selbst und eine andere dazu. „Hier“, sagt er lauter als nötig und knallt zwei Listen auf den Tisch, „die gesetzlichen Landpreise, und hier die von meinem Vorgänger mit den Landlords ausgeklüngelten, die die Bauern nun zu zahlen haben.“ Die zweite Zahlenreihe ist ziemlich genau doppelt so hoch wie die erste. Von den 720 Bauern in San Isidro haben nur drei bisher mehr bezahlt als die Zinsen. Für die anderen steigen die Schulden immer weiter. Im ganzen Land waren bisher weniger als fünf Prozent der betroffenen 400.000 Bauern in der Lage, ihr Land abzuzahlen. In San Isidro, wo es am Nötigsten fehlt, wo mangels Kapital und Kaufkraft noch nicht einmal Kleinbetriebe entstehen, wird die Verwaltung von Corazon Aquino allein bis zur Beendigung dieser Teilreform noch mehr als eine Million Mark von den Kleinbauern einsammeln, um sie nach Manila und in die Provinzhauptstädte zu bringen, wo die Landherren ihre Villen haben. Die nächsten Reformschritte werden die Bauern noch teurer zu stehen kommen.