Kontroverse Vobo–Rechtsprechung

■ Wo das Mainzer Amtsgericht bis zu 6.000 Mark wegen Aufrufs zur Sachbeschädigung fordert, sehen andere Gerichte keine Straftat / Konsequente Verweigerung weniger „gefährlich“ als falsche Angaben

Berlin (taz) - Wohl zum ersten Mal in der Bundesrepublik hat jetzt ein Amtsgericht saftige Strafbefehle wegen des vermeintlichen Aufrufs zur Sachbeschädigung auf Volkszählungsflugblättern losgeschickt. Zwischen 1.800 und 6.000 Mark sollen auf Geheiß des Amtsgerichts drei Mainzer zahlen, weil sie angeblich zum berühmten „Nummernschnippeln“ aufgerufen haben. Die Vorwürfe, die das Gericht den dreien zur Last legt, sind dabei mehr als grotesk. Ein Studienrat, der von der Anti– Volkszählungskampagne 1983 noch Geld auf dem Konto hatte und es der neuen Vobo–Initiative überweisen wollte, wurde zum Verant wortlichen für ein Vobo–Flugblatt gemacht, weil von diesem Geld die Druckrechnung bezahlt worden sei. Kostenpunkt: 6.000 Mark Strafe. Ein anderer Mainzer, dessen Name unter einem fotokopierten Schreiben stand, das eine inkriminierte Passage eines Vobo– Flugblatts zitierte, soll ebenfalls löhnen. In dem Schreiben war auf die zahlreichen Hausdurchsuchungen bei Volkszählungsgegnern in Mainz hingewiesen worden und dabei eine Flugblatt–Passage, die Anlaß für die Durchsuchungen war, angeführt worden. Das Mainzer Gericht sieht darin einen „Aufruf zu einer Straftat in einem besonders schweren Fall“. Gegen die Strafbefehle ist inzwi schen Einspruch erhoben worden und voraussichtlich im Herbst wird es zu einer mündlichen Verhandlung kommen. Ganz anders als ihre Mainzer Kollegen urteilten jetzt die Richter des Aachener Landgerichts. In dem Verfahren um eine unzulässige polizeiliche Beschlagnahmeaktion bei Volkszählungsgegnern kamen die Aachener Richter zu dem denkwürdigen Urteil, daß eine konsequente Verweigerung der Volkszählungsdaten im Einzelfall die statistischen Zwecke sogar weniger gefährde als völlig falsche Angaben. Ein Aufruf, die unausgefüllten Fragebögen mit abgetrennter Ordnungsnummer bei den Sammelstellen abzugeben, sei daher nicht als Straftat zu werten. Zum zweiten Mal, nach der Bonner „Schnüß“, ist jetzt gegen eine Stadtzeitung ein Bußgeldverfahren wegen Aufrufs zum Volkszählungsboykott eingeleitet worden. Der „Kölner Illustrierten“ flatterte jetzt ein entsprechender Bescheid ins Haus. Corpus delicti für die Behörden ist ein Interview in der Aprilausgabe der Kölner Illustrierten mit dem Mitarbeiter der Bonner Vobo– Koordinationsstelle, Wolfgang Raab. Dieses Interview hatte die Stadtzeitung aus dem Buch „Vorsicht Volkszählung“ nachgedruckt, wo es zuvor ohne Schwierigkeiten erschienen war. Ve.