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Palmenparty gegen Raumfahrtzentrum

■ Die Nachfahren der Ureinwohner Hawaiis sind heute Gastgeber, die aus ihrem Paradies vertrieben werden und für ihren Platz an der Sonne die hinterste Reihe zugewiesen bekommen / Mit einer gewaltfreien Blockade protestierten sie gegen den Plan, im Süden der amerikanischen Insel ein Raumfahrtzentrum zu bauen

Aus Hawaii Stefan Schaaf

Der Pazifik schimmert am Horizont, tiefblau mit weißen Schaumkronen, eine frische Brise sorgt dafür, daß die Hitze nicht zu groß wird. Drei, vier Meilen weiter im Landesinneren bringen etliche „sixpacks“ Bier Abkühlung, und in den Geruch gegrillter Steaks und Hamburger mischt sich ein süßlicher Duft - untrügliches Anzeichen dafür, daß einige Joints die Runde machen. Es ist nicht so ohne weiteres zu erkennen, daß am Feldweg nach Kalae tatsächlich eine dreitägige Blockade stattfindet - wären da nicht die Polizeibeamten, die vorbeifahrende Touristen vor der Aktion und der Möglichkeit warnen, „in eine Diskussion verwickelt zu werden“. Und dann ist da natürlich auch noch Palikapu Dedman, der als Sprecher der Blockierer den erschienenen Medienvertretern mit Nachdruck erklärt: „Wir Hawaiianer sind immer sehr passive Leute gewesen, aber unsere Geduld hat jetzt ein Ende.“ Kalae, südlichster Punkt der Insel Hawaii und damit der Vereinigten Staaten insgesamt, wird dabei von Touristen besonders gern besucht, doch an diesem Wochenende bekommen sie statt Fernsicht auf Pazifik erst einmal die Durchfahrt verweigert und dann ein Flugblatt in die Hand gedrückt - erstes, zaghaftes Anzeichen dafür, daß den Ureinwohnern der so gerne nachgesagte „Spirit of Aloha“ langsam, aber sicher abhanden kommt. Mit der Gastfreundschaft hat es erst einmal ein Ende. Kap Kennedy in Hawaii Dabei soll die Gegend von Kalae, wenn es nach dem Gouverneur Hawaiis, Jim Waihee, und vor allem der C. Brewer Company geht, ein überaus ehrgeiziges Vorhaben beherbergen. Die Privatfirma will einen „Spaceport“, ein kommer zielles Raumfahrt–Zentrum a la Kap Kennedy in Hawaii bauen. Dort, wo jetzt allenfalls zerknüllte Bierdosen von Strandpartys übrigbleiben, sollen demnächst Satelliten und Raumkapseln in die Umlaufbahnen geschossen werden. Den Planern erscheint die Gegend von Kalae, auch Southpoint genannt, wegen der zum einen günstigen Lage mitten im Pazifik und der zum anderen geringen Bevölkerungsdichte als exzellenter Standort. Entsprechende Gesetzesvorlagen sind schon im Landesparlament von Hawaii eingebracht worden. Raketenbasis in den „Homelands“ Da trifft es sich natürlich schlecht, daß ausgerechnet die Gegend von Southpoint als „Homeland“ für Hawaiianer ausgezeichnet worden ist, und zwar schon 1921 vom US–Kongreß in Washington; aber so schlecht vielleicht doch wieder nicht, weil die mit der Verwaltung der Homelands betraute Behörde, die „Hawaiian Home Commission“ (HHC), in den 67 Jahren ihrer Existenz doch einige Anlaufschwierigkeiten hatte. Im Laufe ihrer Tätigkeit hat sie erst gut ein Zehntel des reservierten Areals tatsächlich Hawaiianern als Farmland zuerkannt, der Rest wurde erst einmal an Industriebetriebe vermietet. Nun kann man schon bei insgesamt 15.000 Antragstellern einmal den Überblick verlieren, und so wurde auch tatsächlich knapp 2.000 Hawaiianern vor vier Jahren mitgeteilt, daß ihre ausgefüllten Formulare aus dem Zeitraum 1921 bis 1983 verlorengegangen seien. In etwas fortgeschritteneren Verhandlungsphasen wird auch argumentiert, daß für Infrastruktur–Maßnahmen, also Bau von Wasser– und Stromleitungen sowie der Zufahrtswege, derzeit kein Geld vorhanden und die von den Antragstellern verlangte Mindestgröße der Parzellen überhaupt übertrieben sei und nicht für alle ausreiche. Hinter all dem muß gesehen werden, daß keine Behörde dieser Welt einfach so das Land verteilen und sich somit der Grundlage ihrer Existenz glattweg berauben würde. Palikapu Dedman und den anderen etwa hundert Blockierern scheint dafür das rechte Verständnis abzugehen. Palikapu fehlt auch die Existenzgrundlage, sagt er. „Wir, die Ureinwohner Hawaiis, sind in jeder Negativ–Kate gorie führend, you name it. Selbstmord, Krebs, Drogen, Geburtsdefekte, Arbeitslosigkeit. Überall sind wir Spitze.“ Im Juni vergangenen Jahres landeten die Marines, die Elitetruppe der US–Armee, am Southpoint und schlugen ihr Zeltlager direkt neben einem Karree aufeinandergeschichteter Lava–Steine auf. Die Hawaiianer nennen diesen Ort Kalalea Heiau und verehren ihn bis zum heutigen Tag als heilig. Verständlich, daß ihnen die rechte Begeisterung fehlte und sie die Marines zum Verlassen der Kultstätte zwangen. Aber es muß zum gegenwärtigen Zeitpunkt als zumindest zweifelhaft erscheinen, daß der Hinweis auf Kalalea Heiau und die mögliche Zerstörung dieses Platzes den geplanten Spaceport verhindern kann. Vertreibung aus dem Paradies In Hawaii hat immer noch der Geschäftssinn die Oberhand behalten. Schließlich waren es zum Ausgang des vergangenen Jahrhunderts amerikanische Geschäftsleute, die die einheimische Königin in Honolulu stürzten und so die Inseln unter die Verwaltungshoheit der USA brachten. Anlaufhafen für Walfänger im vergangenen Jahrhundert, Ananas– und Rohrzuckerplantagen und endlich der Tourismus, das sind die merkantilen Stationen einer Entwicklung, die für den traditionellen Lebensstil der Hawaiianer - Fischen und Landwirtschaft - keinen Platz mehr übrig hatte. „Sie nehmen uns die Fischereigründe“, sagt einer von ihnen. „Sie vertreiben uns von den Stränden, weil sie die für die Touristen brauchen. Sie zwingen uns, Schuhe zu tragen.“ Die Ureinwohner Hawaiis, das sind heute Gastgeber, die aus ihrem Paradies vertrieben worden sind, die für „ihren Platz an der Sonne“ die hinterste Reihe angewiesen bekommen haben und sich jetzt mit dem zweifelhaften Vergnügen abfinden dürfen, daß, wie es in einem deutschen Reiseführer heißt, „die Berge und Regenwälder ringsum, die tropischen Parks und die Farbenpracht von Hibiskus ... auch die Armut der hawaiianischen Ghettos und urbane Auswüchse in einem milderen Licht erscheinen“ lassen. Und da leben sie nun, mit einem errechneten Durchschnittseinkommen von 9.000 Dollar jährlich, in den Ghettos von Honolulu, den Wellblech–Hütten von Nilo oder Maui, die rund 11.000 verbliebenen echten Hawaiianer, die inzwischen nur 1,3 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. Den Hauptanteil stellen weiße Nordamerikaner, Japaner sowie Filipinos, und alles zusammen ergibt das den angeblich reibungslos funktionierenden Idealfall eines Vielvölkerstaats. Von Vertrauens– und Rechtsbruch ist bei der gewaltfreien Blockade, der zweiten in der Geschichte der Hawaiianer überhaupt, oft die Rede, auch davon, daß es nicht immer nur bei solchen symbolischen Aktionen bleiben muß. Dieses Mal war die Sache, finden die Organisatoren, ein voller Erfolg, immerhin hat das Lokalfernsehen berichtet. Und anscheinend war der „Spirit of Aloha“ doch noch da. Die Polizisten, von sympathisierend bis distanziert, hielten sich zurück, die leeren Bierdosen türmten sich nach drei Tagen beachtlich auf. Und wenn sich abends die Sonne in Tausenden von glitzernden Punkten im Pazifik brach, dann konnte man von weitem das ganze für eine einzige, riesige Fete halten.

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